Nachteile klassisch-hierarchischer Organisationsformen sind eine fehlende Kommunikation auf Augenhöhe, fehlendes Mitspracherecht einzelner Mitglieder und geringe Flexibilität bei Änderungen der Anforderungen. Abhilfe versprechen Formen agiler Organisation, die man auch als kreisförmige Organisationen bezeichnet. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Merkmale kreisförmiger Organisationen und deren Erfolgsfaktoren.
Die strukturelle und inhaltliche Basis dafür ist ein Beitrag von Michael Meyer, Florentine Maier und Hanna Schneider in der ZFO. Für den Praxisbezug gebe ich dieses Mal selbst einen Erfahrungsbericht meiner fast zehnjährigen Zeit in der Leitung der Fakultät Betriebswirtschaft an der OTH Regensburg. Dabei stehen die beiden Fragen im Fokus: „Sind Hochschulen überhaupt kreisförmige Organisationen?“ und „Werden dort die Gestaltungsmöglichkeiten genutzt, um die Erfolgsfaktoren kreisförmiger Organisationen umzusetzen?“. Vielleicht können meine Erfahrungen zu den Erfolgsfaktoren Impulse zur Transformation klassisch-hierarchischer Organisationen geben und Fallstricke oder falsche Erwartungen vermeiden.
Was sind die organisationalen Extrempunkte?
Ganz allgemein ist Organisieren keine technische Aufgabe, die mit dem Einsatz von Formeln vorgenommen werden kann. Vielmehr hängt sie von vielen Faktoren ab. Beispielsweise die Aufgabe bzw. das Ziel der Organisation, die Branche und deren Dynamik, die Größe der Organisation oder auch der fachliche oder persönliche Hintergrund der MitarbeiterInnen. Insofern gibt es auch unendliche viele Möglichkeiten, wie Organisationen gestaltet werden können.
Was ist mit Organisation gemeint? Und warum ist eine Softwarefirma mit 10 Mitarbeitern eine Organisation und eine Warteschlange von 10 Personen vor dem Regensburger Dom nicht? Eine Organisation in institutioneller Hinsicht verfolgt ein gemeinsames Ziel, erledigt Aufgaben nach bestimmten Vereinbarungen und weist eine gewisse Beständigkeit des Systems auf. Insofern ist die Organisation in instrumenteller Hinsicht als Teilaufgabe der Unternehmensführung das Regelsystem, wie die Aufgaben erledigt und das Ziel erreicht werden sollen. Aufbauend auf diesem Verständnis umfasst der Begriff Organisieren, alle Tätigkeiten, die nötig sind, die Regelungen zu schaffen und aufrechtzuerhalten. In der Praxis sind neben Organigrammen Listen ein wichtiges Instrument.
Als zwei Extremformen kann man klassisch-hierarchische Organisationen und kreisförmig-agile Organisationen unterscheiden. Erstere ist auf die effiziente Umsetzung einer Aufgabe ausgerichtet. Sie versucht diese Zuverlässigkeit (auch als Exploitation bezeichnet) durch klare und eindeutige Aufgabenverteilung sowie hierarchische Über- und Unterordnungsbeziehungen zu erreichen. Beispiele sind Fluglinien, Feuerwehr oder auch die Herstellung von Autos. Nachteile solcher Organisationen sind aus Mitarbeitersicht aber häufig ein hoher Formalismus, fehlende Beteiligung oder Flexibilität.
Die Idee kreisförmig-agiler Organisationen setzt genau daran an. Sie verspricht Innovation, Flexibilität und Agilität durch flache Hierarchien und sinnstiftende Beteiligung bzw. Committment der Mitarbeitenden im Sinne eines Selbstmanagements (auch als Exploration bezeichnet). Beispiele können Start-ups, innovative Dienstleistungsunternehmen, demokratische staatliche Einrichtungen, NGOs oder auch Vereine sein.
Agile Organisationsformen sind kreisförmig
In der Managementlehre gab es immer wieder Ansätze, die sich auf die Erreichung der genannten Vorteile richten. Einschlägige Konzepte sind Soziokratie, Holokratie oder auch autonome Arbeitsgruppen oder das Linking-Pin-Modell. In diesem Zusammenhang ist auch Ambidextrie ein aktueller Ansatz, bei dem Organisationen beides, also sowohl Exploitation und Exploration, erreichen können.
Der Begriff der kreisförmigen Organisation rührt daher, dass ihre Mitglieder sich aufgaben- und rollenspezifisch in verschiedenen Gremien bzw. Kreisen organisieren und dort Entscheidungen treffen. So werden in den verschiedenen Ansätzen einige Standardgremien mit spezifischen Rollen vorgegeben. Die Koordination der Kreise regeln die verschiedenen Ansätze mit unterschiedlichen Mechanismen. So beschreibt Linking-Pin-Modell überlappende Teams durch die Mitgliedschaft von Vorgesetzten in anderen Arbeitsgruppen. Holokratie erreicht diese Kommunikation dagegen durch ein Double Linking. Dabei wählt jeder Kreis einen Vertreter in den nächst höheren und niedrigeren Kreis sowie optional auch in Nachbarkreise. Meyer/Meier/Schneider destillieren aus den vorhandenen Ansätzen agiler Organisationskonzepte für Ihre Untersuchung vier konstituierende Merkmale agiler bzw. kreisförmiger Organisationen heraus:
- Gleichberechtigtes Entscheiden in den Kreisen durch Konsens/Konsent/demokratische Abstimmung: Der Begriff Kreis impliziert auch, dass es innerhalb der Kreise keine hierarchisch priviligierte Führungsperson gibt, sondern die Gremien Entscheidungen möglichst einvernehmlich treffen.
- Weitgehende Autonomie dieser Kreise: Auch in der Zusammenarbeit der Kreise soll es keine Über- und Unterordnung geben. Sondern die Kreise sollen innerhalb ihres Aufgabengebiets selbstverantwortlich entscheiden können.
- Einsatz formaler Regeln für das Entscheiden in den Kreisen: Um willkürliche Entscheidungen einzelner zu vermeiden sollten sich die Organisationsmitglieder auf Regelungen verständigen, wie Entscheidungen getroffen werden. So kann zudem eine hohe Verbindlichkeit erreicht werden.
- Formal verankerte Bottom-up Beteiligung: Ein Hauptmerkmal agiler Organisationen ist, dass potenziell jedes Organisationsmitglied an den Entscheidungsprozessen mitmachen kann. In diesem Sinne sollten Organisation das auch in ihren Grundsätzen fest definieren.
Ist eine Hochschule eine kreisförmig-agile Organisation?
Ist nun eine Hochschule eine kreisförmig-agile Organisation? Nach den oben genannten Kriterien sind insbesondere der dritte und vierte Punkt auf jeden Fall gegeben. Ein umfangreiches Geflecht an Gesetzen, Satzungen und Ordnungen regelt, welche Kreise (z. B. Fakultätsrat, Hochschulleitung, erweiterte Hochschulleitung, Personalrat etc.) es an einer Hochschule gibt, wie diese besetzt werden und auch teilweise wie Entscheidungen getroffen werden. Ebenso ist darin auch geregelt, dass sich in diesen Gremien jede Interessengruppe an einer Hochschule angemessen beteiligen kann. So gibt es beispielsweise im Fakultätsrat Vertreter aller Gruppen (ProfessorInnen, wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche MitarbeiterInnen sowie Studierende). Und selbstverständlich wird auch die Gleichstellung berücksichtigt.
Ob die ersten beiden Kriterien erfüllt sind, ist etwas schwerer zu prüfen. Denn das hängt von der tatsächlichen Ausgestaltung und kulturellen Umsetzung ab. Und da gibt es meines Erachtens durchaus Unterschiede in der gelebten Praxis verschiedener Hochschulen. Oft ist das dann durch individuelles Handeln Einzelner (in der Regel: Präsidenten bzw. Hochschulleitung; der Fisch stinkt vom Kopf) bedingt. Konkret: manche Hochschulleitungen treffen Entscheidungen nicht im Konsens und beteiligen andere Kreise (z. B. Fakultäten) nicht an den Entscheidungen.
Meine Wahrnehmung ist aber, dass wir an der OTH Regensburg eine gelebte kreisförmige Organisation(skultur) haben. Sowohl innerhalb der Gremien wird in den allermeisten Fällen im Konsens entscheiden und auch die Fakultäten werden in aller Regel vor weiter reichenden Entscheidungen der Hochschulleitung angemessen angehört und beteiligt. Was aber nicht heißt, dass es keine Konflikte gibt, dass nicht auch lange und intensiv diskutiert wird und, dass am Ende jeder die 100% auf dem Happiness-Index erreicht.
Aber in Summe würde ich schon sagen, dass die OTH Regensburg eine kreisförmig-agile Organisation ist. Sie sollte damit auch den Anspruch haben, die Organisationsmitglieder zu beteiligen und eine Kommunikation auf „auf Augenhöhe“ verfolgen.
Herausforderungen kreisförmig-agiler Organisationen
Aber kann die OTH Regensburg auch die Vorteile dieser agiler Organisationen effektiv nutzen? Denn es gibt auch Nachteile kreisförmig-agiler Organisationen.
Eine Beteiligung heißt noch nicht, dass man sich auch immer durchsetzt. So kann der Anspruch Einzelner auch enttäuscht werden. Wenn z. B. die Mehrheit andere Vorstellungen von Zielen oder der Umsetzung hat. Ein Beispiel ist eine Eigentümergemeinschaft in einem Wohnhaus, die über eine Waschmaschine im Keller abstimmt. Wenn es nur eine Person gibt, die diese aufgrund Platzmangel unbedingt möchte, aber alle anderen nicht, kann das zu einem Gefühl von Hilflosigkeit führen.
Außerdem können die Abstimmungsmechanismen zu langwierigen und frustrierenden Entscheidungsprozessen führen. Wenn es bei einer Aktiengesellschaft zu Diskussionen über die Unternehmensstrategie, die Schließung von Standorten oder die Vergütung des Vorstands kommt, kann die Hauptversammlung auch sehr lange dauern.
Eine dritte Herausforderung agil-kreisförmiger Organisationen ist schließlich das Vermeiden von Trittbrettfahrertum und das Eindämmen von Egoismen der Organisationsmitglieder. Nur so kann man sicherstellen, dass möglichst viele Organisationsmitglieder ihr volles Engagement in den Dienst der Gemeinschaft stellen. Wer kennt die Diskussion in Vereinen nicht, dass sich einzelne Mitglieder wenig oder gar nicht einbringen.
Erfolgsfaktoren von kreisförmigen Organisationen
Die Frage ist deshalb, wie man mit diesen Herausforderungen umgeht und die Nachteile zumindest abmildern kann? Mit anderen Worten: welche Erfolgsfaktoren gibt es für eine erfolgreiche Umsetzung kreisförmig-agiler Organisationen?
Bei kleinen Organisationen ist das sicher tendenziell einfacher, weil die Mitglieder mehr und einfacher miteinander kommunizieren (können), sich und Ihre Verhaltensweisen besser kennen und so auch mehr Vertrauen aufbauen können. Zusätzlich können auch Faktoren wie ähnliche Interessen, sich ergänzende Fähigkeiten oder ein langfristiges Engagement die Kosten für das Erzielen von Vereinbarungen reduzieren und die Entwicklung gemeinsamer Werte begünstigen.
Aber auch größere Organisationen können geeignete Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass ihre Mitglieder sich mit hohem Engagement einbringen und der Nutzen für alle Organisationsmitglieder höher ist. Dazu leiten Meyer/Maier/Schneider acht Prinzipien ab, wie Vertrauen geschaffen werden kann und auch die „Kosten“ (im Sinne von Akzeptanz von Regeln zu Anpassung der Organisation in möglichst kurzer Zeit ohne Hierarchie) der selbstbestimmten Agilität so gering wie möglich gehalten werden können. Die Erfolgsfaktoren lassen sich grob in die beiden Kategorien Struktur und Führung einteilen.
Am Beispiel der OTH Regensburg möchte ich überprüfen, ob/wie wir diese Erfolgsfaktoren erfüllen. Dabei können die Erkenntnisse auch für für andere Organisationen interessant sein. Denn auch sie können einzelne Elemente agiler Organisationen nutzen, um die Zufriedenheit Ihrer Mitglieder zu erhöhen und das kreative Potenzial Aller bestmöglich auszunutzen.
Die OTH Regensburg hat etwa 11.000 Studierende an acht Fakultäten und mehreren Forschungseinrichtungen. Es arbeiten etwa 350 ProfessorInnen, wissenschaftliche und nicht-wissenschaftliche Mitarbeiter an der OTH. Mit etwa 2.000 Studierenden, ca. 40 ProfessorInnen und Lehrkräften sowie einer Hand voll MitarbeiterInnen ist die Fakultät Betriebswirtschaft eine der Größten an der OTH Regensburg.
Wichtige Gremien (Kreise) der Hochschule sind die Hochschulleitung, die erweiterte Hochschulleitung (mit den Dekanen der Fakultäten), der Senat (mit Vertretern aller Mitgliedsgruppen) oder der Hochschulrat (mit Vertretern von Stakeholder wie Ministerium oder Unternehmen). Auf Fakultätsebene gibt es beispielsweise den Fakultätsrat, der die Entscheidungen der Fakultät trifft und die Studiengangskommissionen, die die Leitung und Weiterentwicklung einzelner Studiengänge verantworten oder Berufungskommissionen, die wesentlich an der Berufung von ProfessorInnen beteiligt sind.
Seit 2009 bin ich Professor an der OTH Regensburg. Von 2016 bis 2022 war ich Dekan an der Fakultät Betriebswirtschaft und zuvor 3 Jahre Prodekan und Vorsitzender einer Studiengangskommission.
Struktur
Bei diesen Erfolgsfaktoren geht es darum, dass die strukturellen Voraussetzungen für eine transparente Beteiligung aller Organisationsglieder intern und nach außen vorhanden sind und dass eine zu hohe Machtkonzentration bei Wenigen vermieden werden kann.
Abgrenzung der Dimensionen für die Selbstorganisation
Bei diesem Erfolgsfaktor geht es um eine klare Definition, in welchen Bereichen und über welche Ressourcen die Organisation partizipativ bestimmen kann und wo es ggf. auch hierarchisches Entscheiden gibt. Das schafft Klarheit und vermeidet Enttäuschungen wegen falschen Erwartungen.
Durch die gesetzlichen Regelungen und Ordnungen, die aufgrund des Öffentlichen Auftrags von Hochschulen nötig sind, ist das an einer Hochschule voll und ganz gegeben. Darin werden die Entscheidungsbefugnisse von Gremien und einzelnen Rollen sehr genau definiert.
Falls darüber hinaus weitere Regelungen getroffen werden müssen bzw. die Organisation das möchte, ist Delegation Poker ein hervorragendes Instrument aus dem agilen Baukasten, wie Teams bzw. Gremien die Entscheidungsbefugnisse transparent und im Sinne des Teams verteilen können.
Dezentrale Governance
Im Sinne einer demokratischen Gewaltenteilung zielt dieser Erfolgsfaktor darauf ab, Entscheidungsbefugnisse auf mehrere Trägerkreise zu verteile. Das trägt dazu bei, dass die Macht Einzelner oder auch einzelner Gremien nicht zu groß wird und alle Mitglieder möglichst umfangreich zu beteiligen. Und auch die Selbstverantwortung der Teams zu stärken.
Auch dieser Erfolgsfaktor ist an Hochschulen, wie auch an der OTH Regensburg sehr gut umgesetzt. Es gibt – wie oben im Kästchen kurz beschrieben – sowohl auf Ebene der Gesamthochschule als auch auf Ebene der Fakultäten verschiedene Gremien und Rollen, die an Entscheidungen beteiligt sind. Ein Beispiel ist, dass z. B. der Dekan dem Fakultätsrat Entscheidungsvorschläge (z. B. für die Verteilung von Entlastung für administrative Aufgaben von ProfessorInnen) unterbreitet und der Fakultätsrat dann entscheidet oder zumindest der Dekan nachdem er Entscheidungen getroffen hat (z. B. kleinere Sachausgaben), darüber Rechenschaft ablegt.
Ein anderes Beispiel ist die Berufung neuer ProfessorInnen, was eine erfolgskritische Aufgabe an Hochschulen ist. Denn damit kann eine Hochschule das Lehrangebot, die Sichtbarkeit und die Schwerpunkte in Lehre und Forschung maßgeblich prägen. Dazu wird auf Ebene der Fakultäten ein Berufungsausschuss gebildet, in dem alle Beteiligtengruppen (ProfessorInnen, MitarbeiterInnen und Studierende) vertreten sind. Der Berufungsausschuss verständigt sich über eine Liste an berufungsfähigen KandidatInnen, die im Anschluss den Gremien auf Ebene der Fakultät und der Hochschule zur Abstimmung vorgelegt wird. Rein formal könnte der Präsident eine Person auf dieser Liste berufen. An der OTH Regensburg ist mir kein Fall bekannt, in dem der Präsident nicht der Reihenfolge der Liste gefolgt ist.
Ein Instrument zur Förderung von selbstverantwortlichen Teams ist Delegation Poker. Mit diesem einfachen und kurzweiligen Spiel können Rollenverständnisse und Erwartungshaltungen effektiv geklärt werden.
Anerkennung der Autonomie
Die gemeinsam geschaffenen Vereinbarungen müssen von allen Organisationsmitgliedern aber auch von externen Stakeholdern anerkannt werden. Hier kann es durch Bestimmungen der jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen (Gesellschafts-, Vereinsrecht etc.) zu Herausforderungen kommen. Denn eine Aktiengesellschaft braucht rechtlich einen Vorstand, der Verantwortung trägt. Die Aufgabenträger müssen im Sinne der kreisförmigen Organisation allerdings intern den Konsens herstellen.
Die Entscheidungsautonomie ist an unserer Hochschule ein hohes Gut. Dazu zwei Beispiele: Während meiner Amtszeit kam es zu einem interessanten Konflikt mit einer klassisch-hierarchischen Organisation. Es sollte eine Entscheidung zu einer Kooperation getroffen werden. Nach Beratung mit der Hochschulleitung hat sich die Fakultät bzw. der Fakultätsrat dagegen entschieden. Dann ging seitens der klassisch-hierarchischen Organisation des Powerplay los. Zuerst kontaktierte mich als Dekan eine Leitungsperson der zweiten Ebene um mich umzustimmen. Ich erklärte, dass wir als Fakultät die Entscheidung gemeinsam getroffen haben. Anschließen stimmte sich die Person mit ihrer Führung der ersten Ebene ab, woraufhin diese mit unserem Präsidenten Kontakt aufnahm. Im anschließenden Gespräch mit mir betonte unser Präsident zwar, dass er einen positiven Bescheid unsererseits begrüßen würde, aber gleichzeitig dass er auch die Autonomie der Fakultät respektiert. Zwei Tage später rief mich mein Counterpart der klassisch-hierarchischen Organisation wieder an und fragte mich, ob sich denn nun unsere Meinung nach meinem Gespräch mit dem Präsidenten geändert hätte. Merklich verwundert nahm er zur Kenntnis, dass sich unsere Meinung nicht geändert hat. Dieses Spiel wiederholte sich dann noch einmal bevor man sich seitens der klassisch-hierarchischen Organisation mit der Situation schließlich abfand. In dieser Situation war ich stolz auf unsere Hochschule!
Es gibt aber auch Beispiele für eine interne Anerkennung der Autonomie: So übt die Hochschulleitung keinen direkten Einfluss auf das Studienangebot aus. Und obwohl grundsätzlich eine Umwidmung von Stellen zwischen Fakultäten im Gestaltungsbereich der Hochschulleitung wäre, habe ich das während meiner Amtszeit noch nicht erlebt.
Möglichkeit zu Mitwirkung an Regelungen über Entscheidungen, die sie betreffen
Während in klassisch-hierarchischen Organisationen die Aufgaben und Arbeitsbedingungen der Organisationsmitglieder von der Leitung top-down festgelegt werden, sollte für alle Mitarbeitergruppen in agil-kreisförmigen Organisationen zumindest die Möglichkeit der Mitbestimmung vorhanden sein. Ob sie die Mitglieder dann nutzen oder nicht ist unerheblich.
Bei diesem Punkt ist ein Großteil bereits durch die gesetzlichen Regelungen vorgegeben. Bei den variablen Punkten, sind wir an der OTH Regensburg wie ich glaube ganz gut aufgestellt. Alle verschiedenen Beteiligtengruppen haben die Möglichkeit sich aktiv einzubringen. Die Mitarbeiter haben mit dem Personalrat eine Stimme und die Studierenden haben über die Studierendenvertretung, die auch durch eine eigene Stelle unterstützt wird, eine gewichtige Stimme. Vielleicht haben die ProfessorInnen eine etwas herausgehobene Stellung, sind aber wahrscheinlich auch die Gruppe, die eine Hochschule neben den Studierenden am wesentlichsten prägt.
Aber auch das demokratische Rotationsprinzip bei der Ämterwahl im Rahmen der Selbstverwaltung trägt dazu bei, dass eine breite Mitwirkung Vieler entsteht. Denn so kann niemand Wissen anhäufen und zu seinem Vorteil ausnutzen. Gegenargumente gerade für die “aufwändigeren“ Ämter wie Dekan einer Fakultät sind, dass es eine Weile dauert, bis man sich in die Prozesse eingearbeitet hat und dass auch nicht jede bzw. jeder Neigung und Fähigkeiten für alle Aufgaben hat.
Führung
Bei diesen Erfolgsfaktoren geht es darum, wie das Verhalten der Organisationsmitglieder im Sinne der Organisationsziele beeinflusst wird.
Monitoring der Leistungsdimensionen
Dieser Erfolgsfaktor soll helfen Trittbrettfahrertum vermeiden. Aber andererseits ist auch gerade Überwachung bei kreisförmigen Organisationen eine besondere Herausforderung. Und auch beim Ansprechen von Fehlern als klassische Führungsaufgabe ist mit Rücksicht auf den Charakter der Organisationsmitglieder großes Fingerspitzengefühl nötig.
Tatsächlich ist das Vermeiden von Trittbrettfahrertum ein wichtiger Punkt an Hochschulen und gleichzeitig ein Minenfeld. Denn die Freiheit der Forschung und Lehre wird manchmal auch als Deckmantel gesehen. An Hochschulen gibt es deshalb eine Vielzahl von Instrumenten. Ein sehr einfaches Instrument ist das Vier-Augen-Prinzip. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wieviele Anträge (auf Gastvorträge, auf Urlaub von MitarbeiterInnen, für Exkursionen, auf Beschaffung etc.) ich in meinem Dekanszeit ich unterschrieben habe. Ein weiteres Instrument sind die Lehrevaluationen. Damit können die Studierenden ihre Meinung über die Lehrveranstaltungen mitteilen. Und auch bei der Nutzung von Drittmitten muss man Rechenschaft über deren Verwendung ablegen.
Meine Erkenntnis ist, dass ein Mindestmaß an Monitoring nötig ist. Aber eine zu offensive Überwachung und die Herstellung von Transparenz kann aus vielerlei Gründen sogar kontraproduktiv sein. Denn es kann zu Frustration und schlechterer Leistung führen. Gerade in einem Umfeld das einerseits durch Innovation und Experimentieren und andererseits durch Beamtentum und dem Grundsatz der Freiheit der Forschung und Lehre geprägt ist, kann man Leistungsdimensionen auch nicht immer trennscharf abgrenzen oder vergleichen.
Beispielsweise: Was ist besser? Eine Kollegin, die extrem gute Lehre macht oder ein Kollege, der sehr viel Drittmittel einwirbt? Weiterhin sind fach- und studiengangspezifische Unterschiede nur sehr schwer vergleichbar zu machen. So ist erwartbar, dass die Evaluation einer Lehrveranstaltung zu den Grundlagen des Steuerrechts im zweiten Bachelorsemester schlechter ausfällt als die eines Praxiseminars zum digitalen Marketing im Marketingschwerpunkt des Masters. Ebenso fällt die Drittmitteleinwerbung für Projekte mit Bezug zu Digitalisierung oder Nachhaltigkeit leichter als in Teilbereichen der Volkswirtschaftslehre. Aber natürlich muss man bei groben Ausreißern nach unten als Dekan auch tätig werden.
Abgestufte Sanktionen bei Mißachtung von Vereinbarungen
In Zusammenhang mit dem zuvor genannten Erfolgsfaktor gilt es bei kreisförmigen Organisationen ein geeignetes und der Verfehlung angemessenes Maß der Sanktion zu finden. Klassische Optionen für Sanktionen sind beispielsweise persönliches Feedback mit Verwarnungen oder im Extremfall auch Kündigung.
An einer Hochschule ist das Potenzial mit Sanktionen zu drohen für einen Dekan sehr begrenzt. Eine „Kündigung“ von ProfessorInnen ist nur in relativ extremen Fällen möglich und der Präsident als unmittelbarer Dienstvorgesetzter für Professoren ist in der Regel sehr weit weg vom Geschehen. Allerdings ist das hölzern wirkende Mittel der Weisung des Präsidenten für ProfessorInnen ein Relativ wirksames Mittel, denn es ist so etwas wie ein Offenbarungseid. In einem Fall musste ich das leider anwenden. Das bedurfte aber einer größeren Vorbereitung in Form von Abstimmungen mit der Hochschulleitung und anderen beteiligten Stellen. Subtilere Sanktionen sind die zeitliche Lage von Lehrveranstaltungen. Denn wer macht schon gerne eine Lehrveranstaltung Montags um acht oder Freitags um 18 Uhr?
Herstellen eines angemessenen Anreiz-Beitrags-Verhältnisses
Dieser Erfolgsfaktor zielt darauf wie (zusätzliches) Engagement belohnt wird. Dies ist besonders wichtig, da kreisförmige Organisationen oft vom hohen Engagement der Mitglieder leben. In kreisförmigen Organisationen kann es dabei auch um zusätzlichen Entscheidungsspielraum Einzelner gehen. Grenzen können in einer in Teilbereichen standardisierten Aufgabenstruktur oder sehr unterschiedlichen Kompetenzprofilen der Organisationsmitglieder liegen.
Eigentlich sind die Voraussetzungen für das Setzen von Anreizen in Hochschulen denkbar schlecht. Denn die Rahmenbedingungen für Incentives nach den klassischen unternehmerischen Maßstäben (Leistungszahlungen, Beförderungen etc.) sind relativ starr und es gibt nur geringen Spielraum. Allerdings ergibt sich ein riesiges Potenzial für Anreize in der Möglichkeit zur Gestaltung der eigenen Arbeit. Man kann Forschen, innovative Lehrformate umsetzen, oder sich bei der Internationalisierung einbringen etc. Und vielleicht ist es genau das, was die Arbeit als Professor an einer Hochschule so interessant macht.
Meine persönlichen Anreize liegen in der Internationalisierung. Ich setze mich dafür ein, Studierende für Auslandsaufenthalte zu begeistern und damit die Persönlichkeitsbildung junger Menschen zu fördern. insofern bin ich stolz darauf, dass unsere Fakultät während meiner Amtszeit als Dekan den zu 100% englischsprachigen Master European Business Studies konzipiert und umgesetzt hat. Ein weiteres Beispiel ist unser Start-up-Center bzw. der Bereich Entrepreneurship, das die Gründungslehre an der OTH Regensburg übernimmt und aktiv Neugründungen unterstützt. Die – wie immer – schwierigste Aufgabe ist, eine verantwortliche Person zu finden, die den Prozess vorantreibt und später die Leitung der Initiativen übernimmt. Denn zunächst ist das zusätzliche Arbeit, die nach den klassischen Maßstäben nur unzureichend incentiviert wird. Ein Erfolgsfaktor ist für mich, die Interessen und persönlichen Motivatoren der KollegInnen kennen und Projekte nach diesen Motivatoren zu verteilen. Denn eine Organisation wie eine Hochschule kann nur durch intrinsische Motivation funktionieren.
So wie das Recht auf Freiheit der Forschung und Lehre ein wesentlicher Motivationstreiber ist, kann es aber auch Veränderung bremsen. Nämlich dann wenn man versucht eine Veränderung „durchzudrücken“ und Aufgaben an KollegInnen zu geben, deren Neigungen in anderen Bereichen liegen. In diesem Fall wird das Ergebnis für die KollegInnen häufig Unzufriedenheit oder Frustration sein und die inhaltlichen Ergebnisse schlecht. Und das wirkt sich schließlich auf das Angebot in der Lehre und die Forschungsleistung aus. Meine Philosophie war es daher, die Interessen und Stärken zu kennen und diejenigen KollegInnen fördern, die die Fakultät in Forschung und Lehre voranbringen. Denn eine Organisation wie eine Hochschule kann nur durch intrinsische Motivation funktionieren.
Kostengünstige und akzeptierte Konfliktlösungsmechanismen
Da in kreisförmigen Organisationen keine hierarchische Konfliktlösung existiert, eignen sich Meetings oder Einzelgespräche. Trainings in Moderationskompetenz und allgemeinen sozialen Kompetenzen sollen die Organisationsmitglieder auf diese Aufgaben vorbereiten. Aber auch faktenbasiertes argumentieren oder ausprobieren und anschließendes evaluieren können hier unterstützen.
Nach meiner Erfahrung ist das einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren an einer Hochschule. Auch um überhaupt Veränderungen umsetzen zu können. Gleichzeitig ist das vor dem sehr diversen fachlichen Hintergrund der KollegInnen und der nur sehr rudimentär ausgestalteten Vorbereitung zur moderaten Konfliktlösung eine besondere Herausforderung. Mir sind beispielsweise Fälle bekannt, wo Konfliktlösung nicht funktioniert hat und sich KollegInnen gegenseitig mit Zivilklagen überziehen und das Klima extrem schlecht ist. Insofern liegt meines Erachtens in der Konfliktlösung auch die Hauptaufgabe der Leitungskreise im Sinne von Scrum-Mastern: Nämlich gute Bedingungen für ein professionelles und fruchtbares Miteinander zu schaffen und Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Hilfreiche Mittel sind regelmäßige Gremiensitzungen, bilaterale Gespräche und Diplomatie, die aber auch ein hohes Einfühlungsvermögen und viel Zeit erfordern. Ich erinnere mich an einige Sitzungen der erweiterten Hochschulleitung, die über fünf Stunden dauerten. Ein Beispiel für einen Konflikte zwischen mehreren KollegInnen war die Zuordnung einer Stelle zu einem Fachgebiet. Hier musste man das ganze Repertoire an Kommunikationsmaßnahmen ausnutzen: Einzelgespräche, Workshops und Abstimmungsrunden mit der ganzen Fakultät. Aber schließlich ist sich eigentlich auch Jeder bewusst, dass ein professionelles Miteinander in jedem Fall besser ist als ein lang andauernder (Achtung: Professoren sind Beamte auf Lebenszeit!) Streit.
Ein weiteres Instrument, das als sozialer Klebstoff dient, sind regelmäßige Workshops zur Weiterentwicklung der Fakultät oder der Hochschule als Offside-Event. Neben den inhaltlichen Ideen für die Weiterentwicklung ermöglicht der Workshop Kommunikation, fördert das gegenseitige Kennenlernen und ist somit eine proaktive Grundlage für die Lösung von Konflikten. Der Erfolgsfaktor ist aber eine gute Moderation und eine klare Vorstellung über die Zielsetzung. Ansonsten kann das in ziemlich langen und wenig konstruktiven Diskussionen enden. Ein mögliches Format für die Workshops ist das World Café.
Als sehr hilfreich habe ich auch Gesprächsrunden mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern empfunden. Darin stellt jedes Teammitglied seine bzw. ihre Aufgaben vor. Alleine dieses Vorstellen lässt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich Ihrer Aufgaben bewusst werden, die sich vielleicht auch im Laufe der Zeit verändert haben können. Weiterhin schafft es auch eine gewisse formale Transparenz über die Tätigkeiten und hilft aussagekräftige Stellenbeschreibungen zu formulieren. Und schließlich kann man damit auch nicht mehr notwendige Tätigkeiten oder Schwachstellen in der Koordination identifizieren.
Fazit – die OTH Regensburg als kreisförmig-agile Organisation
In meinen über 12 Jahren an der OTH Regensburg habe ich die Hochschule in vielen Facetten kennen gelernt. Ich bereue die Entscheidung nicht, dort als Professor zu arbeiten und mich in der Selbstverwaltung zu engagieren. Denn als Professor hat man so viele Freiheitsgrade. Außerdem erhält man durch eine Tätigkeit in der Selbstverwaltung Einblicke in die Funktionsweise sowie Stärken und Schwächen agiler Organisationen. Meine Erkenntnis daraus: Die wichtigsten Erfolgsfaktoren für agile Organisationen sind der gegenseitige Respekt sowie eine gute und sinnvolle strategische Vision und eine hohe Moderationskompetenz der Leitungsrollen bzw. Führungskräfte.
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