Chancen neuer Technologien für das Supply Chain Management

Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey hat die Chancen und Potenziale von neuen Technologien für Supply Chains analysiert. Der Beitrag im Harvard Business Manager (Januar 2020, S. 51-56) beleuchtet sehr schön, wie mit Effizienzsteigerung, Verbesserung der Agilität, Erhöhung der Verlässlichkeit und besserer Vermarktung Nutzenpotenziale für die neue Technologien erschlossen werden können. Kai Hoberg, Knut Alicke und Jürgen Rachor präsentieren darin sehr prägnant beispielhafte Anwendungen für die Innovationen. 

Aber nicht nur die in der Studie genannten großen und bekannten Unternehmen setzen die Technologien erfolgreich ein. Auch andere größere sowie kleinere und mittelständische Unternehmen haben die neuen Technologien auf interessante und erfolgreiche Art eingeführt. Als Mitglied der Jury des Deutschen Exzellenzpreises konnte ich Einige aus erster Hand erfahren. 

Innovationen für Supply Chains

Die wichtigsten für Supply Chains relevanten Innovationen sind die folgenden:

  • Robotik in der Intralogistik: Allen voran sind dort die Lagerroboter wie KIVA, die von Amazon eingesetzt werden, zu nennen. Der Nutzen ist unmittelbar abzusehen: die Fläche kann besser genutzt werden, da weniger Gänge eingeplant werden müssen und auch die Pick-Effizienz ist durch das Ware-zu-Mann Prinzip um einiges höher. Manche sprechen von 50% mehr Picks pro Mitarbeiter. Exoskelette als ein weiteres Beispiel helfen Mitarbeitern schwere Güter zu bewegen (auch im Pflegebereich wird mit Exoskeletten experimentiert, um Pflegekräfte zu unterstützen). Darüber hinaus werden auch Roboter zur Kommissionierung eingesetzt, die intelligent greifen können. D. h. anstatt nur programmierte Bewegungen auszuführen können sie durch Sensoren erkennen, wie die zu kommissionierenden Gegenstände liegen. Danach können sie sie auch „intelligent“ auf einen anderen Ladungsträger stapeln.
  • Autonome Transportmittel: die Palette in der Intralogistik reicht von AGVs (Automated Guided vehicles), die mit verschiedenen lenktechnologien (Radar, Kameras oder GPS) als Taxis oder Routenzug Systeme (teilautonome Fahrzeuge) bis hin zu Butlern. (Teil-)autonome Fahrzeuge sind auch im Transportbereich in Zukunft eine Option genauso wie im Bergbau oder der Landwirtschaft. Horsch beispielsweise bietet für die Agrarwirtschaft Maschinen und Lösungen an, die genau dort ansetzen.
  • Virtual und Augmented Reality: Augmented Reality kann als Pick-by-Vision beispielsweise für Kommissionierprozesse eingesetzt werden. Anwendungen für Virtual Reakity sind das Training von Wartungs- oder Serviceprozessen. So bietet der TÜV-Nord ein Training für das gefährliche warten von Kesseln an und Lufthansa lässt Mitarbeiter den Kabinenservice mit Virtual Reality üben. Ein besonderes Feature bei Virtual Reality ist das Eye-Tracking. Dadurch kann bei Trainingsprozessen überprüft werden, ob alle vorgesehenen Schritte eingehalten wurden und bei zu trainierenden Prüfprozessen alle wichtigen Punkte begutachtet wurden. Für den Einkauf komplexer Güter oder Bauwerke kann eine Vorführung und Gestaltung mit VR Fehler vermeiden.
  • Sensorik und Internet der Dinge: Beispiele sind; Industrie 4.0 Modell des VDI mit den verschiedenen Ebenen, optische Prüfung von elektronischen Bauteilen. Durch eine Kamera aufgenommene elektronische Bauteile werden in Kombination mit einem KI-Algorithmus auf Fehler analysiert. So können schneller und besser fehlerhafte Bauteile ausgesondert bzw. Für eine manuelle Nachkontrolle aussortiert werden. Ob dann tatsächlich ein Fehler vorliegt ist dann gleich wieder der Input für das KI-Lernset.
  • Supply Chain Analytics: Ein Stichwort ist Demand Sensing. Das ist die Vorhersage von Nachfrage in Echtzeit. So kann beispielsweise durch die Verfolgung von Blogbeiträgen, Produktbewertungen und Posts in sozialen Medien die Nachfrageentwicklung für Mode und Konsumgüter vorhergesagt werden. Ein anderes Beispiel ist ein gezielterer regionaler Bestandsaufnahme von Grippe- oder Erkältungsmedikamenten anhand der Nachfrage dieser Medikamentenart.
  • Prozessautomatisierung oder Robot Process Automation (RPA): Hiermit können manuelle Prozesse durch Nachahmung der menschlichen Interaktion durch Softwaresysteme automatisiert werden. Ein Beispiel aus dem Finanzdienstleistungsbereich ist die automatisierte Anlage eines Kontos. Darin werden Bonitätsdaten aus von einer Webseite automatisiert abgerufen. Im Supply Chain Kontext ist die Verwaltung von Stammdaten bei neuen Produktvarianten ein Beispiel. So können auf Basis bestehender Varianten die Stammdaten neuer Varianten automatisiert angelegt werden. Ein weiteres Beispiel ist das automatisierte Abwickeln von Kundenbestellungen. Hierzu können auch Chatbots eingesetzt werden.
  • Digitale Produktion: In Lichtenfels hat kürzlich GE eine Fabrik zur Herstellung von 3D-Druckern mit 800 Arbeitsplätzen aufgebaut. Das zeigt die Relevanz dieser Technologie für das Ersatzteilgeschäft, den Prototypenbau und ausgewählte Anwendungen in der Medizintechnik (Produktion von passgenauen Prothesen) und Luftfahrt und das Vertrauen von Unternehmen in den Industriestandort Bayern.
  • Kollaborations- und Cloud-Plattformen: Eine Anwendung in der Supply Chain ist ein Supply Chain Control Tower. Durch eine Kombination verschiedener Daten wie z. B. Sendungsverfolgungsdaten, Absatz- und Produktionsplanungsdaten oder Beständen können Verzögerungen bei Lieferungen antizipiert und in Abstimmung mit Lieferanten und Dienstleistern alternative Szenarien durchgerechnet werden. Continental in Regensburg setzt eine solche Anwendung in der Logistik ein, um Anlieferzeitfenster besser steuern zu können. Auch Onestop Pro ist eine Plattform, die auf dieser Innovation aufbaut. Es werden Daten über Fahrzeuge gesammelt und den Nutzern Vorschläge zu Wartungsintervallen gemacht.

Nutzenpotenziale der Technologien 

Der Nutzen der genannten Technologien liegt aber nicht nur in einer Effizienzsteigerung. Auch agilere Prozesse, höhere Verlässlichkeit und bessere Vermarktung bieten wichtige Nutzenpotenziale der Technologien. 

Effizienzsteigerung

Natürlich versprechen viele der Innovationen eine Steigerung der Effizienz. Denn z. B. können Roboter 24 Stunden am Tag eingesetzt werden und benötigen verhältnismäßig wenig Zeit für die Wartung. Somit können Arbeitsschritte automatisiert werden oder fallen ganz weg wie z. B. bei einer automatisierten optischen Prüfung. Weitere Möglichkeiten zur Prozessverbesserung sind hier zu finden. In diesem Zusammenhang ist auch eine nachhaltigere Nutzung von Ressourcen zu nennen. 

Agilere Prozesse

Agilität kann in verschiedenen Kontexten von Bedeutung sein. So können Projekte in einem von Komplexität geprägten Umfeld durch SCRUM agil gemanagt werden. Auch kann die Produktentwicklung durch Design Thinking stets in einem iterativen Prozess an den Nutzerbedürfnissen ausgerichtet werden. In einem Supply Chain Kontext ist allerdings eine schnelle Reaktion auf Kundennachfrage oder Veränderungen dieser wichtig. 

Höhere Verlässlich- und Verbindlichkeit

Die Grundlage für eine höhere Verlässlich- und Verbindlichkeit sind beispielsweise Informationen über Ankunftszeiten. Sie ermöglichen bessere Entscheidungen über Bestandshöhen und Produktionspläne. Auch können Sensoren, die Temperatur oder Stöße messen, frühzeitig Beschädigungen erkennen (z. B. Tive). Der Einbezug von externen Daten wie Wetterdaten ermöglicht eine genauere Disposition von Personaleinsatzplänen. So hat Amazon herausgefunden, dass bei schlechtem Wetter mehr Bestellungen eingehen. 

Bessere Vermarktung

Innovationen, die Wachstumschancen bieten sind besonders interessant. So kann Adidas in der Speed-Factor durch den Einsatz von 3-Druckern schnell auf individuelle Nachfrage nach besonderen Schuhen reagieren. Im industriellen Kontext können Maschinenhersteller völlig neue Geschäftsmodelle entwickeln. Ein Beispiel ist der Aufbau  einer Art Betreibermodell. Das Versprechen dabei ist die Anlageneffizienz um bis zu 20% zu steigern, wenn Betriebsdaten genutzt und analysiert werden können. Je mehr Daten auch von anderen Nutzern – unter Nutzung von Algorithmen aus der künstlichen Intelligenz – analysiert werden können, umso effektiver wird es. Für diesen Service können die Hersteller im Gegensatz bzw. ergänzend zu dem Verkauf der Maschine auch laufende Zahlungen generieren.

Ein anderes Beispiel ist der Verkauf von Systemen, die ursprünglich für das eigene Unternehmen entwickelt wurden. Ein Beispiel aus der Region Ostbayern ist die Maschinenfabrik Reinhausen, die ein ursprünglich für das eigene Unternehmen entwickelte Werkzeugmanagement-System zu einer cloud-basierten Industrie 4.0 Anwendung ausgebaut hat. Damit können Maschinen besser eingestellt und vernetzt werden. Bisher konnten bereits 20 teilweise namhafte Kunden gewonnen werden und eine eigene Business Unit aufgebaut werden. 

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Implikationen für Unternehmen 

Aber was bedeutet das nun für potenzielle Anwender der Technologien im Supply Chain Management oder dem Einkauf?

Experimentieren

In der Natur von neuen Technologien – insbesondere wenn es sich wie jetzt um Technology-Push-Innovationen handelt – liegt es, dass nicht ganz genau bekannt sein kann, wo die Nutzenpotenziale für die jeweiligen Geschäftsmodelle liegen. Deshalb ist es dringend angezeigt mit den neuen Technologien zu Experimentieren, um Nutzenpotenziale zu entdecken. Daneben können Unternehmen auch Erfahrungen mit den Technologien sammeln und so Inhouse-Kompetenz für Wettbewerbsvorteile aufbauen. So wie es das Maschinenbauunternehmen mit dem Aufbau der Industrie 4.0 Business Unit gemacht hat.

Ganzheitlich denken 

Die Einführung von Insellösungen und das Experimentieren damit ist ein erster Schritt. Um die noch größere Potenziale zu erschließen, muss allerdings die ganze Wertschöpfungskette in den Blick genommen werden. Denn auch die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Teilen der Supply Chain sowie insbesondere an den Schnittstellen müssen betrachtet werden. Wenn beispielsweise – vom Kunden her denkend – Supply Chain Analytics implementiert ist bzw. werden soll, dann lohnt es sich auch über eine Flexibilisierung im Make-Prozess wie z. B. durch digitale Fertigung einzelner Teile oder Industrie 4.0-Lösungen nachzudenken. Und konsequenterweise auch einen Control-Tower in der Beschaffungslogistik zu prüfen um durchgängig die Flexibilität und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen. 

Synergien und Partnerschaften nutzen

Und da im Moment sehr viel im Umbruch ist gibt es auch Chancen, sich durch Entwicklungspartnerschaften mit Start-ups Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und völlig neue Märkte zu erschließen. Denn gerade wenn sich Geschäftsmodelle verändern entstehen auch Nischen für kreative Lösungen, die nicht offensichtlich sind. Im Austausch und in der Kombination verschiedener Sichtweisen liegt besonderer Charme. So hat mir beispielsweise der Austausch mit Start-ups die Anregung zu diesem Blog gegeben. Viele klassische Unternehmen nutzen dazu eigene Inkubatoren, um den Austausch und das Lernen zu fördern.

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