Im Lean Management spielt das Streben nach Exzellenz eine zentrale Rolle. Die kontinuierliche Verbesserung in kleinen Schritten ist dabei ein bewährtes Werkzeug. Viele Unternehmen kennen den kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) bereits gut, doch in diesem Beitrag möchte ich die Bedeutung der kontinuierlichen Verbesserung nochmals hervorheben und einige hilfreiche Tipps und Tricks teilen, die dabei unterstützen, KVP auf das nächste Level zu bringen.
Warum ist kontinuierliche Verbesserung wichtig und was bringt sie?
Es gibt zahlreiche inspirierende Sinnsprüche und Motivationsbotschaften, die zeigen, wie man mit kleinen Schritten Großes erreichen kann. Ein bekanntes Zitat von Mark Twain bringt es auf den Punkt: „Continuous improvement is better than delayed perfection“. Ein weiteres Beispiel ist die humorvolle Weisheit, dass man sich bei einem Bärenangriff schnell die Turnschuhe anziehen sollte. Man muss vielleicht nicht schneller als der Bär sein, aber schneller als der Wanderkamerad ohne Turnschuhe. Diese Botschaft verdeutlicht, dass oft ein kleiner Wettbewerbsvorteil genügt, um mehr Kundenaufträge zu gewinnen oder bessere Margen durch niedrigere Kosten zu erzielen.
Beispiele für Unternehmen, die kontinuierliche Verbesserung erfolgreich umgesetzt haben, sind Toyota, Rolex, Amazon und Google. Toyota, eines der größten Automobilunternehmen der Welt, und Rolex, die Luxusuhrenmarke mit einem der höchsten Markenwerte, zeigen eindrucksvoll, wie wichtig es ist, kontinuierliche Verbesserung ernst zu nehmen und konsequent zu verfolgen. Amazon, der E-Commerce-Gigant, hat durch stetige Optimierung seiner Logistik- und Lieferprozesse die Kundenzufriedenheit revolutioniert. Google wiederum verbessert ständig seine Suchalgorithmen und Dienste, um den Nutzern stets die besten Ergebnisse zu liefern. Diese Erfolgsgeschichten verdeutlichen, dass kontinuierliche Optimierung der Schlüssel zu langfristigem Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit ist.
Wie funktioniert kontinuierliche Verbesserung bzw. Kaizen und was sind die wichtigsten Tipps und Tricks?
Wie oben beschrieben ist das Streben nach Perfektion ein wichtiges Lean-Leitmotiv. Es wird mit dem sogenannten kontinuierlichen Verbesserungsprozess oder abgekürzt KVP umgesetzt. Dabei geht es darum, dass die Prozess sehr häufig in kleinen Schritten verbessert werden. Ein wichtiger weiterer Aspekt ist dabei auch, dass die Organisation aus den Ansatzpunkten lernt, um eine nachhaltige kontinuierliche Verbesserung zu erzielen. Dabei kommt häufig die Analogie eines Zyklus zum Eisatz. Ein Zyklus deutet an, dass der neue Prozess nach einer umgesetzten Verbesserungsmaßnahme immer noch Raum für eine weitere Perfektionierung bietet. Die gängigsten „Zyklen“ sind die Akronyme PDCA und DMAIC aber auch 8D:
Der PDCA-Zyklus besteht aus den vier Phasen: Plan, Do, Check und Act. Der iterativ strukturierte PDCA-Zyklus ist eine Methode, die kontinuierliche Verbesserungen durchführt, indem sie Probleme identifiziert und Lösungen implementiert. Der PDCA-Zyklus ist besser geeignet für kleinere Verbesserungen und für Situationen, in denen die Ursache des Problems bekannt ist.
Der DMAIC-Zyklus besteht aus den fünf Phasen: Define, Measure, Analyze, Improve und Control. Er fokussiert sich darauf Prozesse zu verbessern, indem er die Problemlösung auf einer ausführlichen, systematischen und datengetriebenen Analyse aufbaut. Der DMAIC-Zyklus ist somit besser geeignet für größere Verbesserungen und für Situationen, in denen die Ursache des Problems nicht bekannt ist.
8D ist ein Konzept, das Ford in den 80er Jahren entwickelt hat. Es besteht aus acht Schritten bzw. Disziplinen: Team bilden, Symptome eindämmen, Problem beschreiben, Kernursache des Problems finden, Validieren der Kernursache und Korrekturmaßnahme auswählen, Implementierung der Maßnahmen, Umsetzung von Maßnahmen um das Wiederauftreten des Problems zu verhindern, dem Team gratulieren und feiern. Kunden fordern bei Qualitätsproblemen von Lieferanten manchmal einen 8D-Report ein.
Fokus auf Lernen und Sicherstellen einer nachhaltigen kontinuierlichen Verbesserung
Wichtig der kontinuierlichen Verbesserung ist neben der eigentlichen Verbesserung auch das organisationale Lernen, das die Voraussetzung für eine nachhaltige Verbesserung ist. Das Lernen findet bei PDCA und DMAIC hauptsächlich in den Phasen Plan bzw. Define, Measure und Analyse statt. Auch bei kleineren Ansatzpunkten, sollte deshalb im Rahmen der Plan-Phase auch eine Analyse durchgeführt werden. So lassen sich ein belastbarer Zeitplan erarbeiten, eine quantifizierte Aussage über das zu erzielende Potenzial (das analog einem Experiment bzw. einer Hypothese nach der Umsetzung in der Check-Phase überprüft wird; mehr zur Ermittlung eines Potenzials in meinem Beitrag zur Erstellung eines Business Cases) treffen und mögliche Umsetzungsrisiken identifizieren. Umfassenderen Ansatzpunkten geschuldet, ist dieses Lernen beim DMAIC-Zyklus noch strukturierter auf die Phasen Define, Measure und Analyse aufgeteilt. Instrumente, die in diesen Phasen eingesetzt werden können sind:
- Define: Prozessanalyse (in meinem Beitrag zur Prozessmodellierung gibt es mehr dazu) bzw. SIPOC oder Pareto-Analyse (dient der Priorisierung der wichtigsten Fehler, Schadensmeldungen etc.)
- Measure: Kunden-, Qualitäts- oder Prozessbezogene Kennzahlen, die das Ausmaß des Ansatzpunktes transparent machen und nähere Informationen über relevante Aspekte geben sowie die Basis für die Potenzialermittlung sind (in meinem Beitrag zu den wichtigsten Kennzahlen für die Logistik und das Supply Chain Management gibt es mehr dazu)
- Analyze: 5W (bzw. 5 Why/Warum) zur Identifikation der Kernursache des Ansatzpunktes um nicht lediglich die Symptome des Problems zu beheben.
Die Sicherstellung der Nachhaltigkeit der kontinuierlichen Verbesserung erfolgt jeweils am Ende der Zyklen (Phasen: Act bzw. Control). Hier werden die angestrebten Verbesserungen und Potenziale überprüft und abgesichert. Bei der Überprüfung ist der sogenannte Hawthorne-Effekt zu beachten. Es kann also dazu kommen, dass die überprüften Mitarbeiter den neuen Prozess nur solange wie vorgesehen ausführen, solange sie beobachtet bzw. überprüft werden. Dem kann entgegen gewirkt werden, indem neben einer Überprüfung des Prozesse anhand von Daten (z. B. mit MotionMiners) auch eine Überprüfung ins Rahmen eines oder zweier Gemba-Walks zur Prozessbestätigung ein oder zwei Monate nach Umsetzung erfolgt. Wie oben bereits bei 5S beschrieben, sichern Standards die erfolgreichen Prozessverbesserungen ab.
Identifikation von Ansatzpunkten zur kontinuierlichen Verbesserung
Keine kontinuierliche Verbesserung geschieht von alleine. Deshalb ist es auch noch wichtig zu diskutieren, wie die Sammlung der Ansatzpunkte zu organisieren ist. Es kann zwischen einer aktiven und passiven Sammlung von Ansatzpunkten unterschieden werden. Die passive Sammlung von Ansatzpunkten kann durch ein Vorschlagswesen oder in Qualitätszirkeln erfolgen. Dabei gibt es einige Punkte zu beachten. Zunächst hat man wenig Einfluss darauf, welche Art von Ansatzpunkten die MitarbeiterInnen einsteuern. Hier kann die Bandbreite sehr groß sein und es fällt nicht immer leicht, ein schnelles und zugleich wertschätzendes und qualifiziertes Feedback zu geben.
Häufig ist es aber eine viel größere Herausforderung, überhaupt Ansatzpunkte aus diesen Formaten zu generieren. Zwei wichtige Erfolgsfaktoren dafür sind die Schaffung einer niederschwelligen Möglichkeit die Ansatzpunkte einzusteuern und ein geschicktes Belohnungssystem. Zum ersten Punkt: Wenn Mitarbeiter während ihrer Arbeitszeit an ein – vielleicht auch noch weit entfernt stehendes – Terminal laufen müssen, um Vorschläge einzureichen, werden wenig Vorschläge kommen. Wenn dagegen ein Vorarbeiter im individuellen Gespräch, Mitarbeiter – die ggf. Herausforderungen mit Lesen und Schreiben haben – dabei unterstützen, gute Ansatzpunkte zu formulieren und das für sie in ein System eintragen, wird die Chance schon wesentlich höher sein. Gleichzeitig hat letzteres Vorgehen den Vorteil, dass die Führungskraft den MitarbeiterInnen unmittelbar Wertschätzung und Lob zukommen lassen kann.
Die andere Möglichkeit kontinuierliche Verbesserung zu erzeugen, besteht in der aktiv geförderten Generierung von Ansatzpunkten. Wie oben bereits implizit erwähnt, gibt es unterschiedlich „große“ Ansatzpunkte, die zudem auf unterschiedlichen Wegen identifiziert werden können. Kleinere Ansatzpunkte sollen Prozesse an einzelnen Punkten inkrementell verbessern. Das wird oft als Point-Kaizen bezeichnet. „Größere“ Ansatzpunkten versprechen eine grundlegendere Verbesserung des gesamten Wertstroms. Hier spricht man von Flow-Kaizen.
Gute Möglichkeiten zur aktiven Identifizierung von Point-Kaizens sind „Kreidekreise“ (eine Beobachtungstechnik, die darin besteht einen Kreis auf den Boden zu zeichnen und darin einen Prozess oder Arbeitsplatz über einen längeren Zeitraum – mindestens 30-40 Minuten, besser aber länger – zu beobachten und Muda zu erkennen; Teilnehmer können Mitarbeiter aber auch hauptsächlich Führungskräfte sein) oder die Identifikation von Ansatzpunkten, die beim Arbeiten mit visuellem Management durch den Gruppenleiter auffallen (z. B. Nichtbeachtung von Bodenmarkierungen oder Vorschriften zur persönlichen Sicherheitsausrüstung, mehr Bestand als nötig).
Weiterhin können die operativen Führungskräfte aktiv von Zeit zu Zeit im Gespräch mit den MitarbeiterInnen prüfen, ob es Ansatzpunkte zur Verbesserung ihres Arbeitsplatzes (z. B. Ergonomie, Abläufe etc.) oder ihrer individuellen Qualifizierung gibt. So kann man das Wissen der MitabeiterInnen über den Prozess bestmöglich nutzen. Optimalerweise kann das auch von den MitarbeiterInnen selbst ausgehen. Denn wichtiges Element von Lean-Management als Philosophie ist, dass auch den operativen Mitarbeitern bewusst ist, was an Ihrem Arbeitsplatz Wertschöpfung und was Verschwendung ist. Und dazu gehört auch das Verständnis darüber, WARUM bestimmte Dinge zu erledigen sind.
Die aktive Identifikation von Flow-Kaizens ist dagegen oft nicht ganz so einfach. Denn diese Ansatzpunkte betreffen die Verbesserung des gesamten (in diesem Zusammenhang hört man oft auch den Begriff End-to-End) Wertstroms bzw. Prozesses. Hilfreich ist dazu auch ein Denken in Systemen, denn eine Veränderung/Verbesserung des Prozesses an einer Stelle kann Auswirkungen auf andere Teile des Prozesses haben. Beispielsweise kann es im Sinne des Line-Back-Prinzips sinnvoll sein, unterstützende Tätigkeiten wie Materialkommissionierung nicht durch ProduktionsmitarbeiterInnen durchführen zu lassen. Besser ist es aufgrund des höheren Wertzuwachses am Ende des Produktionsprozesses diese Tätigkeiten in vorgelagerte Prozessteile zu verlegen. Wie zum Beispiel diese in einem produktionsnahen Supermarkt erledigen zu lassen oder einen „Wasserträger“ (auf Japanisch Mizusumashi) damit zu beauftragen. So kann die Produktion sich voll auf die Wertschöpfung konzentrieren und die Produktionsdurchlaufzeit reduzieren.
Instrumente zur Unterstützung sind eine (logistische) Wertstromanalyse oder auch andere Methoden zur Prozessmodellierung. Aufgrund des höheren Abstraktionsgrades und des Verständnisses für das gesamte System liegt diese Aufgabe bei den höheren Management-Ebenen (Werks- bzw. Standortleiter). Ebenso kann diese Ebene durch ihre hierarchische Position auch besser eventuelle „Road-Blocker“ bei der Umsetzung identifizieren und aus dem Weg zu räumen (z. B. organisatorische Regelungen oder Budget für Trainings, Geräte etc.). Ein Beispiel für eine Wertstromanalyse ist in diesem Beitrag zu finden. In diesem Beitrag ist eine Checkliste mit 13 Prinzipien zur Prozessverbesserung zu finden, die bei der Identifikation von Ansatzpunkten hilfreich ist. Eine andere Vorgehensweise kann auch sein, bewusst Schwachstellen im Prozess z. B. durch die Absenkung von Sicherheitsbeständen, aufzudecken. Das ist die klassische Metapher des Absenken des Bestands-Wasserspiegels, um Schwachstellen bzw. am Boden versteckte Steine in Form von zu großen Losgrößen oder ungünstige Kapazitätverteilung, sichtbar zu machen.
Und abschließend noch ein Punkt zur manchmal getätigten Aussage, dass der Prozess schon optimal ist und es nichts mehr zu verbessern gibt: Diese Aussage kann nicht stimmen! Denn auch in bereits sehr guten Prozessen, an denen bereits intensiv gearbeitet wurde, lassen sich immer noch relativ schnell Ansatzpunkte finden. Man glaubt gar nicht, was bei einem Kreidekreis alles zum Vorschein kommt. In einem Inhouse-Seminar mit Führungskräften aus der Logistik war genau das das Feedback nach einem 45-minütigen Kreidekreis. Umso interessanter ist es, herauszufinden (Stichwort „Lernen“), wodurch es zu dieser Aussage kommt und welche Annahmen dahinter stecken. Wahrscheinlich ist noch viel mehr Potenzial zu heben wenn man die Ursache hierfür gefunden hat!
Organisation der Umsetzung und Heben des Potenzials
Die Umsetzung von Ansatzpunkten sollte – wie beim Subsidiaritätsprinzip in der Demokratie – auf der geringstmögliche Ebene erfolgen um eine kontinuierliche Verbesserung zu ermöglichen. Denn die Basis-Idee von Kaizen ist, dass jeder Mitarbeiter für seinen/ihren Arbeitsplatz Wertschöpfung von Verschwendung unterscheiden kann und weiß auch, wie die Abläufe verbessert werden können. Wenn möglich, sollte die Verbesserung auch begleitend zum Tagesgeschäft an den jeweiligen Arbeitsplätzen erfolgen. Eine wichtige Rolle dabei spielt die Teamleitung als unmittelbare Führungsebene als Ermutiger, Coach und Quelle für wertschätzendes Feedback. Eine Unterstützung bietet ein eventuell vorhandenes Shopfloor-Management.
Ein Beispiel aus der Logistik ist bei einem Gemba-Walk aufgefallen. Morgens mussten die Logistik-Mitarbeiter immer die Hubameisen suchen, weil sie am Abend vorher auf der Fläche verteilt waren. Die kostengünstige Maßnahme war, dass fest definierte Standplätze an einem günstig gelegenen Ort in der Logistik markiert wurden, an die die Ameisen spätestens am Ende der Schicht gebracht werden mussten. Das Ergebnis war die Eliminierung von Suchzeiten, mehr Zeit für die „wertschöpfenden“ Logistiktätigkeiten und eine gestiegene Produktivität. Ein willkommener Nebeneffekt war, dass so auch die Logistikfläche und die Ameisen besser zu reinigen sind und kaputte Teile an den Ameisen eher auffallen.
Eine zweite Ebene sind Kaizen-Events, die innerhalb weniger Tage oder einer Woche – je nach Umfang des Ansatzpunkts – durchgeführt werden. Im Fokus stehen dabei etwas aufwändiger umzusetzende Point-Kaizens oder einfache Flow-Kaizens (Verbesserung eines Arbeitsplatzes nach 5S, vgl. das Beispiel oben), bei denen mehrere Mitarbeiter aus einem Bereich oder auch bereichsübergreifend beteiligt sind. Die zentrale Lean-Organisationseinheit sollte die Events bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung unterstützen.
Die Vorbereitung umfasst die folgenden Punkte: Einholung des Committments der Führungskräfte der beteiligten Bereiche, Erstellung einer Event-Charta (Ziele, Beteiligte und Umfang), Verpflichtung aller relevanten MitarbeiterInnen für die Zeit des Events sowie Sammlung aller benötigten Informationen und Analysen. Die Durchführung innerhalb einer Woche kann sich am PDCA-Zyklus orientieren: zwei Tage Einführung und Analyse, ein Tag Ideengenerierung, einen Tag Umsetzung und einen Tag für Überprüfung und Verankerung sowie Abschluss. Die Nachbereitung umfasst die Abarbeitung eventuell offener Punkte und Versorgung der relevanten Stakeholder mit Informationen über die Ergebnisse.
Die Umsetzung größerer Flow-Kaizens, die Auswirkungen auf mehrere Bereiche im Unternehmen oder auch auf Partner in der Supply Chain haben (z. B. Einführung eines Milkruns zur logistischen Anbindung ausgewählter Zulieferer), erfolgt in der Regel in mehrmonatigen Projekten. Denn die Komplexität der Aufgaben und die zeitliche Koordination machen eine Umsetzung innerhalb weniger Tage schwierig. Auch ein Einbezug externer Expertise in Form von Projektmanagement- oder fachlichem Know-How ist dabei denkbar. Ein überzeugender Business Case ist die Grundlage für eine erfolgreiche Vorbereitung des Projekts.
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