„Jetzt sollen wir auch noch Nachhaltigkeit managen – und das ohne zusätzliche Ressourcen?“ Solche Sätze höre ich oft, wenn ich mit Verantwortlichen aus kleinen und mittelständischen Unternehmen spreche. Die Sorge ist nachvollziehbar. Nachhaltigkeitsmanagement erzeugt zunächst vor allem neue Berichtspflichten, zusätzliche Kontrollen, steigende Erwartungen von Kunden, Banken und Mitarbeitenden – und damit zusätzlichen Aufwand. Gleichzeitig ist aber der Handlungsbedarf unstrittig vorhanden. Doch wie gelingt es, die neuen Anforderungen effizient und verlässlich in die Unternehmenspraxis zu überführen?
Weniger Druck, aber keine Entwarnung – Warum sich Nachhaltigkeitsmanagement trotzdem lohnt
Als die EU die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) deutlich ausgeweitet hat, war die Sorge groß. Plötzlich standen auch viele mittelständische Unternehmen im Fokus, die bislang mit ESG-Richtlinien wenig Berührung hatten. Nun ist der ganz große Druck auf kleine und mittlere Unternehmen zumindest vorerst abgemildert, aber aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Zwei Beispiele, die das konkretisieren:
- Mit der sogenannten Omnibusverordnung wird der Zeitplan der CSRD leicht verändert. Sie sieht vor, dass nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen (sogenannte „Other Large Undertakings“) erst ein Jahr später, also ab dem Geschäftsjahr 2026, berichten müssen. Auch der Prüfstandard wird in der Anfangsphase weniger streng sein: Statt einer prüferischen „reasonable assurance“ reicht zunächst eine „limited assurance“, also eine Plausibilitätsprüfung mit niedrigerer Tiefe. Damit gewinnen viele KMU wertvolle Zeit, um sich vorzubereiten und sich über ihr Vorgehen klar zu werden.
- Für nicht berichtspflichtige KMU hat die EU-Kommission zusätzlich ein freiwilliges Berichtsformat vorgelegt: die ESRS VSME (Voluntary Sustainability Reporting Standards for Micro, Small and Medium-Sized Enterprises). Dieses freiwillige Berichtsformat ist speziell auf die Ressourcenausstattung kleinerer Unternehmen zugeschnitten. Es bietet eine pragmatische Möglichkeit, Nachhaltigkeitsinformationen zu erfassen und gegenüber Kunden, Banken oder Geschäftspartnern transparent zu machen.
Auf den ersten Blick mag das wie eine Entwarnung wirken. Der unmittelbare Druck mag zwar geringer geworden sein. Aber der strukturelle Trend zu mehr Nachhaltigkeit und Transparenz bleibt dennoch bestehen. Viele Unternehmen spüren bereits heute, dass das Wissen über Nachhaltigkeitsinformationen und gutes Nachhaltigkeitsmanagement zu einem relevanten Wettbewerbsfaktor werden. Nicht selten fordern große, berichtspflichtige Kunden ESG-Daten von ihren nicht berichtspflichtigen Lieferanten ein. Zudem geht oft ein schonender Ressourceneinsatz auch mit geringeren Kosten einher. Und schließlich kann man sich vor dem Hintergrund steigender CO2-Preise mit frühzeitigen Initiativen eine bessere Ausgangslage verschaffen und Risiken reduzieren.
Prozessmanagement als Enabler nachhaltigen Handelns
Und genau an dieser Stelle kommt das Prozessmanagement ins Spiel. Wer frühzeitig beginnt, nachhaltigkeitsrelevante Prozesse systematisch zu erfassen, zu bewerten und effizient zu gestalten, hat klare Vorteile. Man kann:
- Anforderungen von Kunden zeitnah und mit hoher Qualität erfüllen, ohne das Tagesgeschäft zu belasten und ohne unnötige Bürokratie zu produzieren.
- alle Nachhaltigkeitsinitiativen in einem gemeinsamen Berichtswesen bündeln und sich so auf die anstehenden Berichtsanforderungen vorbereiten und inhaltliche Erfolge erzielen.
- sich durch eine gezielte und bewusste Priorisierung auf die wichtigsten Projekte konzentrieren und verschwendet keine Ressourcen
Welche wichtige Rolle Prozessmanagement bei einem effektiven Nachhaltigkeitsmanagement eine Schlüsselrolle spielt, habe ich in meinem jüngst erschienenen Kapitel „Der Beitrag des Prozessmanagements zu einem nachhaltigen Supply Chain Management“ dargestellt. Darin untersuche ich, wie Organisationen Instrumente des Prozessmanagements nutzen können, um Nachhaltigkeit strukturiert, transparent und mit vertretbarem Aufwand umzusetzen. Der Beitrag ist Teil des Sammelwerk „Management von Risiko, Nachhaltigkeit und KI in der Beschaffung“ der Herausgeber Wanja Wellbrock und Daniela Ludin.
Dieser Blogbeitrag bietet einen Überblick über die zentralen Ideen ohne jedoch zu viel vorwegzunehmen. Zudem habe ich ergänzend dazu ein spannendes Interview mit Helena Seidl geführt, wie die Auswahl eines geeigneten ESG-Tools gelingen kann.
Zwischen Ideal und Bürokratie: Nachhaltigkeit als Prozessaufgabe
Mit den steigenden regulatorischen Anforderungen an Nachhaltigkeit (z. B. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bzw. Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), dem CSR-Richtlinienumsetzungsgesetz (CSR-RUG) und der neuen EU-Richtlinie CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive)) stehen Unternehmen – neben den eigentlichen inhaltlichen Anforderungen – auch vor der Aufgabe diese Anforderungen auch prozessual abzusichern.
Wichtig dabei ist: Nachhaltigkeit ist kein Projekt, das man einmal aufsetzt und dann abhakt. Es ist ein laufender, dynamischer Managementprozess mit vielen Beteiligten, komplexen Schnittstellen und hohem Dokumentationsbedarf. Und genau hier zeigt sich das Potenzial eines systematischen Prozessmanagements. In meinem Beitrag arbeite ich drei zentrale Beiträge des Prozessmanagements für ein effektives Nachhaltigkeitsmanagement heraus:
1. Transparenz schaffen: Mit einer gut strukturierten Prozesslandkarte lassen sich nachhaltigkeitsrelevante Prozesse identifizieren und priorisieren – sei es im Einkauf, im Reporting oder im Risikomanagement.
2. Verantwortlichkeiten klären: Nachhaltigkeit braucht klare Rollen. Wer ist zuständig für Risikoanalysen? Wer verantwortet das Beschwerdeverfahren? Wer validiert CO₂-Daten? Prozessmanagement zwingt zur Auseinandersetzung mit diesen Fragen – und hilft, Antworten zu finden, die auch im Audit bestehen. Eine Übersicht über die Ebenen von Prozessmodellen gibt Orientierung.
3. Effizienz sichern: Prozesse zur Lieferantenbewertung, zur Emissionserhebung oder zur Umsetzung von Schulungsmaßnahmen müssen so gestaltet sein, dass sie ressourcenschonend und trotzdem rechtssicher ablaufen. Gerade für KMU ist das entscheidend, um Überforderung zu vermeiden. Eine Checkliste mit 13 Prozessverbesserungsprinzipien kann dabei helfen.
Fallbeispiele gefällig? Vom Einkauf bis zur CO₂-Bilanz
Ein besonders anschauliches Beispiel ist das Beschwerdeverfahren, das das LkSG vorschreibt. In der Theorie klingt das einfach – in der Praxis muss ein revisionssicheres, anonym nutzbares, zugängliches System geschaffen werden, das in verschiedene Kommunikationskanäle eingebettet ist. Klassische IT-Ticketsysteme reichen dafür selten aus. Es braucht eine neue Prozessdefinition, idealerweise ergänzt durch eine technische Lösung – z. B. eine App oder ein Workflow-System.
Auch die Erhebung von Emissionsdaten nach dem Greenhouse Gas Protocol zeigt die Komplexität: Hier sind oft Informationen aus vielen Abteilungen notwendig – vom Fuhrpark über die Buchhaltung bis zur Facility-Abteilung. Wenn Prozesse hier nicht klar definiert sind, drohen doppelte Arbeit, lückenhafte Daten oder fehlerhafte Berichte. Ein prozessual abgesicherter Workflow hilft, das zu vermeiden.
Warum Digitalisierung allein keine Lösung ist und Nachhaltigkeitsmanagement nicht an Tools alleine outgesourct werden kann
In der Diskussion um Nachhaltigkeit wird oft auf digitale Tools verwiesen: Softwarelösungen, KI-gestützte Risikobewertungen, automatisierte CO₂-Kalkulatoren. Doch so hilfreich diese Werkzeuge sind – sie entfalten ihren Nutzen nur, wenn die dahinter liegenden Prozesse sauber definiert, sinnvoll unterteilt und mit klaren Verantwortlichkeiten unterlegt sind.
Ein Tool kann vieles. Es kann aber nicht entscheiden, was genau gemessen wird, wann ein Prozess angestoßen werden soll oder wer das Ergebnis überprüft. Diese Fragen sind vor allem prozessuale Fragen. Und sie entscheiden letztlich über die Wirksamkeit aber auch die Effizienz der digitalen Unterstützung.
Um diese Aspekte näher zu beleuchten, habe ich mich mit der erfahrenen Beraterin Helena Seidl von Eisberg-Consulting unterhalten. Sie hat zahlreiche Tool-Auswahlprojekte für Nachhaltigkeitsmanagement begleitet. Wir sprechen wir darüber, welchen praktischen Nutzen ESG-Tools wirklich bieten und was Unternehmen bei ihrem Einsatz beachten müssen.
Interview Helena Seidl von Eisberg Consulting

Helena Seidl ist Mit-Gründerin von Eisberg-Consulting und hat viel Erfahrung im Management von Nachhaltigkeitsprojekten. Insbesondere bei der Einführung digitalen Hilfsmitteln in der Datenerhebung und Datenpflege. Mit ihr habe ich mich über die Erfolgsfaktoren von Prozessen im Bereich der Nachhaltigkeit rund um ESG-Tools unterhalten.
TL: Helena, Du hast viel Erfahrung bei der Auswahl und Implementierung von ESG-Tools. Und nach deiner Erfahrung sind auch unklare Datenquellen und Schnittstellenprobleme zu den Quellsystemen zwei der größten Stolpersteine. Wie steht es denn nach Deiner Erfahrung dann um die Prozesse wenn das ausgewählte Tool dann eingeführt ist? Läuft das dann alles perfekt und das Tool macht die ganze Arbeit?
HS: Das wäre natürlich schön – aber die Realität ist da etwas komplexer. Auch wenn ein ESG-Tool erfolgreich eingeführt ist und technisch gut funktioniert, ist es kein „Selbstläufer“. Das Tool kann ein wertvolles Hilfsmittel sein, um Daten zu konsolidieren, Berichte zu erstellen und Analysen zu fahren, aber es bleibt stark davon abhängig, dass die zugrunde liegenden Prozesse gut aufgestellt sind und die Datenqualität stimmt.
Das Tool selbst „macht nicht die ganze Arbeit“, sondern es unterstützt Menschen und Prozesse dabei, effizienter und fehlerärmer zu arbeiten. Das bedeutet: Auch nach der Einführung muss das Unternehmen aktiv dranbleiben. Datenquellen müssen weiter gepflegt, Verantwortlichkeiten klar definiert und Prozesse regelmäßig überprüft und optimiert werden. Gerade Themen wie Lieferketten-Transparenz oder CO₂-Datenerhebung erfordern auch weiterhin viel Abstimmung mit internen Abteilungen und externen Partnern. Ein Tool kann das strukturieren und erleichtern – aber es ersetzt nicht das Management dieser Aufgaben.
TL: Wieviel manueller Aufwand spart denn dann ein Tool und welche manuelle Aufwände verbleiben dann noch nach Deiner Erfahrung, z. B. bei der Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts oder der Umsetzung der Anforderungen aus dem Lieferkettengesetz?
HS: Ein gut gewähltes ESG-Tool kann den manuellen Aufwand erheblich reduzieren – insbesondere bei der Datensammlung, Konsolidierung und Aufbereitung. Nach meiner Erfahrung liegt die Entlastung oft im Bereich von 30 bis 50 %, je nachdem, wie stark das Tool integriert ist und wie die Ausgangslage im Unternehmen war. Den initialen Setup-Aufwand würde ich an dieser Stelle ausklammern, das kann je nach vorhandener Datenlage schon etwas aufwendiger sein. Aber besonders bei wiederkehrenden Aufgaben wie der jährlichen Berichterstattung oder der Erstellung von CO₂-Bilanzen spart ein Tool viel Zeit, weil es Daten automatisiert zusammenführt, Plausibilitätsprüfungen unterstützt und Berichte (teilweise inklusive narrativer Elemente) generiert.
Aber: Es bleiben immer manuelle Aufgaben. Dazu gehören vor allem:
- die initiale Pflege und laufende Aktualisierung von Stammdaten (z. B. Lieferanteninformationen, Organisationsstrukturen),
- die qualitative Bewertung von Risiken im Lieferkettenkontext,
- die Kommunikation mit Zulieferern, wenn es um spezifische Informationen oder Bestätigungen geht,
- die Kommentierung und finale Freigabe von Berichten,
- und nicht zuletzt: die Interpretation der Ergebnisse sowie die Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen.
Gerade im Bereich Lieferkettengesetz ist der Dialog mit Lieferanten weiterhin ein manueller und oft auch sensibler Prozess, den kein Tool vollständig übernehmen kann.
TL: Welche der Tools aus dem Prozessmanagement, die ich in meinem Beitrag vorstelle (Prozesslandkarte, Prozessmodellierung/-Analyse und Prozessoptimierung mit den Prozessverbesserungsprinzipien), findest Du in der Praxis am hilfreichsten und warum?
HS: Alle drei sind wertvoll, aber wenn ich eines hervorheben müsste, dann ist es die Prozesslandkarte. Sie ist in meinen Projekten immer ein zentraler Startpunkt, gerade wenn es um die Einführung eines ESG-Tools geht. Warum? Weil die Prozesslandkarte hilft, erst einmal Überblick und Struktur zu schaffen: Wo entstehen ESG-relevante Daten? Wer ist verantwortlich? Welche Schnittstellen gibt es? Ohne diese Übersicht ist es kaum möglich, eine fundierte Toolauswahl zu treffen oder später die Integration ins Unternehmen sinnvoll zu gestalten.
Ich erinnere mich an ein konkretes Beispiel: Bei einem mittelständischen Produktionsunternehmen, das ein ESG-Tool zur CO₂-Bilanzierung und Lieferkettenbewertung einführen wollte, haben wir zunächst eine detaillierte Prozesslandkarte erstellt. Diese hat uns gezeigt, dass wesentliche ESG-Daten nicht wie angenommen aus dem Einkauf kamen, sondern in der Produktionsplanung und im Versand generiert wurden. Das war ein echter Aha-Effekt und hat die Toolanforderungen maßgeblich beeinflusst. Ohne diese Vorarbeit hätten wir vermutlich ein Tool gewählt, das an den falschen Schnittstellen angedockt hätte – mit allen Folgen in puncto Mehraufwand und Ineffizienz.
Prozessmodellierung und -analyse sowie die Anwendung von Prozessverbesserungsprinzipien sind dann die logischen nächsten Schritte. Sie helfen, die identifizierten Prozesse gezielt zu verbessern und fit für die digitale Unterstützung zu machen. Aber die Prozesslandkarte ist für mich der entscheidende erste Schritt, um die Basis zu legen.
Fazit: Nachhaltigkeitsmanagement ohne Prozessmanagement? Kaum machbar.
Unternehmen, die Nachhaltigkeit ernst nehmen – sei es aus Überzeugung oder regulatorischem Zwang –, kommen nicht umhin, sich mit ihren Prozessen zu beschäftigen. Wer das Prozessmanagement dabei als bürokratische Pflicht versteht, übersieht sein Potenzial: Es kann die Grundlage dafür schaffen, Nachhaltigkeit wirkungsvoll, rechtssicher und mit vertretbarem Ressourceneinsatz umzusetzen.
In meinem Beitrag zeige ich anhand konkreter gesetzlicher Anforderungen, welche Aufgaben auf Unternehmen zukommen – und wie Prozessmanagement helfen kann, diese zu bewältigen. Der Beitrag richtet sich bewusst auch an Praktiker, die sich einen fundierten Überblick verschaffen möchten. Ich freue mich über Rückmeldungen, Fragen – und den Erfahrungsaustausch.
Hier noch einmal der Zitationsbeleg zu meinem Beitrag: Liebetruth, T. (2025). Der Beitrag des Prozessmanagements zu einem nachhaltigen Supply Chain Management. In: Wellbrock, W., Ludin, D. (eds) Management von Risiko, Nachhaltigkeit und KI in der Beschaffung. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-47228-3_25
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