Nudging bedeutet wörtlich übersetzt Anschubsen. Im Titelbild "nudgt" mich die hervorragende Personal Trainerin Denise Harlass zum Training auf dem Laufband.

Wie schön wäre es doch wenn Menschen neue Verhaltensweisen ohne aufwändiges Change Management oder anstrengende Diskussionen umsetzen. Das geht tatsächlich. Die Methode heißt Nudging und kann auch für die Logistik eingesetzt werden. Der Beitrag erklärt, was Nudging ist, wie man es für die Logistik nutzen kann und was man bei der Einführung beachten muss.

Was ist Nudging?

Nudging bedeutet wörtlich übersetzt Anschubsen. Im Titelbild “nudgt” mich die hervorragende Personal Trainerin und Motivatorin Denise Harlass zum Training auf dem Laufband. Die Methode geht auf den Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und den Rechtswissenschaftler Cass Sunstein zurück. Kim Leonardo Böhm und Erich Renz wenden die Methode auch auf die Wertevermittlung in Unternehmen an. Nudging soll Verhalten beeinflussen ohne die Entscheidungsfreiheit einzuschränken. Etwas wissenschaftlicher formuliert ist Nudging die Veränderung der Entscheidungsumgebung ohne für die “genudgte” Person die Entscheidungsoptionen oder die zugrunde liegenden Anreize zu verändern. Die Grundannahme auf der Nudging basiert ist, dass Menschen sich nicht immer rational verhalten oder nicht immer in der Lage sind, Entscheidungen fehlerfrei zu treffen. Und die Nudges sollen den Menschen helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Das kann sowohl für persönliche Entscheidungen als auch für Entscheidungen im Organisationskontext gelten.

Die Führungskräfte, die Nudges einsetzen, gestalten also in diesem Sinne die Entscheidungssituation für die Zielpersonen. Verglichen mit anderen verhaltensbeeinflussenden Maßnahmen wie Verboten oder Regeln sind Nudges wesentlich angenehmer für alle Beteiligten. Und Nudges können auch dazu eingesetzt werden, bestehende Werte zu stärken oder neue Werte (wie z. B. nachhaltiges Verhalten oder Verbindlichkeit) zu verankern. Allerdings ist es auch nicht ganz leicht gute Nudges auszuarbeiten und umzusetzen.

Welche Nudge-Typen gibt es?

Es gibt verschiedene Typen von Nudges, die teilweise ganz unterschiedlich funktionieren. Eine schön gemachte Seite gibt auch Beispiele für Klima- und Umweltschutz-Nudges in Kommunen und Unternehmen.

Standardeinstellung

Ein klassischer Nudge ist die Vorgabe einer (erwünschten) Standardeinstellung in Auswahlen. Beispiele sind die Vorgabe der jeweils kostengünstigsten und umweltfreundlichsten Lieferoption bei Online-Shops oder die Standardeinstellung des doppelseitigen Drucks im Druckerdialog. Das soll gewünschtes Verhalten fördern wenn die sich in der Auswahl befindlichen Personen keine Zeit oder keine Meinung über die Folgen der Auswahl haben. Ein Nudge für den Einkauf bzw. die Logistik könnte sein, dass in Bestellsystemen als Standardvorschlag die berechnete optimale Bestellmenge voreingestellt ist. Die zuständige Person muss dann nur noch überprüfen und freigeben.

Gezwungene Auswahl

Im Gegensatz zum ersten Nudge erfolgt bei diesem Nudge gerade keine Vorgabe einer Option. Die genudgte Person muss also bewusst eine aktive Entscheidung treffen. Man muss sich also bei nicht gewünschtem Verhalten aktiv gegen die Option entscheiden. Ein Beispiel konnte ich kürzlich an einer Tankstelle erleben. Dort fragte mich die Kassiererin aktiv, ob ich einen Beitrag zur Kompensation des CO2-Ausstosses mit der Rechnung bezahlen möchte. Auch für die Logistik könnte man sich bei einer Abfrage nach einer Lieferoption vorstellen, dass eine Abfrage erfolgt, bei der die CO2-günstigste gewählt werden kann oder aktiv abgewählt werden muss.

Vereinfachung oder Erhöhung der Bequemlichkeit

Dieser Nudge zielt auf die Verschlankung von Prozessen, Formularen und Systemen sofern deren Nutzung gewünscht. Ähnlich gelagert ist die Gestaltung von Optionen derart, dass die Gewünschte leichter sicht- und wählbar ist. Beispiele sind eine einfache Menüführung beim Eröffnen von Nutzerkonten oder auch die Positionierung von gesunden Lebensmitteln in Sicht- und Greifhöhe anstatt unten oder oben im Supermarkt-Regal. Aber auch das Aufstellen eine Abfalleimers in unmittelbarer Nähe einer Parkbank oder im Logistik-Kontext: in der Nähe eines Leergutsammelplatzes.

Soziale Norm

Dieser Nudge informiert die Zielpersonen darüber, was die meisten Anderen in dieser Situation tun. Beispiele sind die Angabe der “beliebtesten Option” als Information bei der Auswahl von Abo-Laufzeiten, die Angabe des Durchschnittsverbrauchs der aller Kunden auf der Stromrechnung oder ein Aufkleber im Hotelbadezimmer, dass 75% der Gäste die Handtücher mehrmals benutzen. Für das Prozessmanagement bei Serviceprozessen in denen der bearbeitenden Person mehrere Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, könnte das System (z. B. durch eine KI) diejenige vorschlagen, die andere Bearbeiter am häufigsten ausgewählt haben.

Offenlegung bzw. Warnungen und Grafiken

Bei diesen Nudge geht es um eine Information über mögliche positive oder negative Effekte einer Wahl. Das kann auch mit einer Hervorhebung durch Bilder oder Grafiken verbunden werden. Beispiele sind die Beschriftung von Treppenstufen mit dem Kalorienverbrauch bei Nutzung oder Bilder mit abschreckenden Erkrankungen auf Zigarettenpackungen oder aber auch die aufgeklebte Fliege im Urinal (so können Studien zufolge 80% des Urin auf dem Boden vermieden werden). Aber auch die Fortschrittsanzeige in Buchungsprozessen oder bei Umfragen kann darunter fallen. Auch dadurch erhöht sich die Transparenz über die nächsten Schritte und die voraussichtliche Restdauer des Prozesses.

Ein Beispiel für Nudging ist die Angabe von positiven Wirkungen von Handlungen.
Kalorienangaben auf Treppenstufen (Quelle: www.tenstickers.de)

Beispiele aus der der Logistik sind etwa Bodenmarkierungen oder Shadow-Boards. Aber auch die Idee eines Punktezählers in Kombination mit einer Basketballkorb-ähnlichen Öffnung für zu entsorgende Wertstoffe könnte darunter fallen und weist zusätzlich Gamification-Elemente auf. Ein anderes Beispiel für die Logistik könnten analog den großen Warnplakaten an Autobahnen Bilder mit Folgen von Arbeitsunfällen sein.

Vorab-Festlegung oder -Intention

Diese Nudges konzentrieren sich auf die Abfrage von künftigen Handlungen oder Absichten zu einem vordefinierten Zeitpunkt wie beispielsweise die Erstellung einer täglichen To-Do-Liste am Morgen. So schafft man eine höhere Verbindlichkeit. Ich nutze das bei meinen Seminaren am Ende immer, indem ich frage, was nun die unmittelbaren Aktionen zum Thema im Anschluss an das Seminar sind. Im Logistik-Kontext können etwa Tagesziele in einer Shopfloor-Runde zu Beginn der Schicht festgelegt werden. Auch erhöht sich die Verbindlichkeit der Vorgaben.

Erinnerung

Dieser Nudge betrifft zeitgesteuerte und präzise geplante Information über anstehende Entscheidungen oder Tätigkeiten sodass ein Handeln noch rechtzeitig möglich ist. Darunter fallen beispielsweise eine Terminerinnerungsfunktion im Kalender, die – wenn man den Ort eingegeben hat – auch die Transportzeit mit berücksichtigt. Weitere Beispiele sind die Erinnerung einer Lernplattform über neue Kurse oder Angabe der noch zu machenden Schritte einer Fitwatch. Für die Logistik könnten die täglichen Shopfloor-Runden einen regelmäßigen Anstoß für das Finden von Ansatzpunkten im Rahmen des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) geben. Oder auch Pop-Up-Fenster mit relevanten Hinweisen sind hier denkbar. Ein Nudge zur Energieeinsparung ist eine Infotafel mit leicht verständlichen Grafiken zum Stromverbrauch und Reglern am Büroausgang, die auch eine Erinnerungsfunktion hat.

Wie kommt man zu guten Nudges?

Nicht alle Nudges erzielen auch die gewünschte Wirkung. So hat beispielsweise bei einem Unternehmen die Standardeinstellung “doppelseitiger Druck” im Druckdialog – entgegen der gewünschten Wirkung – dazu geführt, dass sogar mehr Seiten gedruckt wurden. Denn im Unternehmen war es die ungeschriebene Konvention, dass Tischvorlagen einseitig vorgelegt werden sollten. Und viele Dokumente, die zunächst doppelseitig gedruckt wurden, mussten so ein zweites Mal gedruckt werden. Bevor Verantwortliche also einen Nudge ausarbeiten und einsetzen, sollten sie die Denkweisen der Zielpersonen und das Umfeld analysieren.

Das BBC-Modell

Nach dem BBC-Modell sind dabei die aktuellen (unbewussten) Grundannahmen über Verhaltensweisen (Beliefs), mögliche strukturelle Hindernisse für das gewünschte Verhalten (Barriers) sowie den situationsspezifischen Kontext (Context) zu berücksichtigen.

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Analyse der geplanten Wirkung von Nudges

Insofern ist zunächst der psychologische Prozess zur Erreichung eines Ziels auf Grundannahmen, Hindernisse und den Kontext zu analysieren. Das kann sich auf bestehende Verhaltensweisen (z. B. in der Logistik typischerweise die Vermeidung von Fehlern oder Erzielung günstiger Kosten) oder auch auf prognostiziertes Verhalten hinsichtlich neuer Zielsetzungen (z. B. Umweltschonendes Verhalten) gleichermaßen beziehen.

Im Druckerbeispiel wäre es die Erkenntnis gewesen, dass in Meetings implizit einseitig bedruckte Tischvorlagen gefordert werden. Nach dem BBC-Modell stellt das ein Hindernis dar. Ein Beispiel aus der Logistik könnte sein, dass die Mitarbeiter eine Trennung von Abfallstoffen nicht kosteneffizient ansehen (Grundannahme) und auch, dass keine geeigneten Behälter zur Verfügung stehen (Kontext).

Anschließend sind potenziell geeignete Nudges auszuarbeiten und auf die Wirkung hinsichtlich der Grundannahmen, Hindernisse und des Kontexts zu überprüfen. Im Druckerbeispiel könnten alternative Nudges die Angabe der noch einzusparenden gedruckten Seiten bzw. die Anzeige des eingesparten Papierverbrauchs sein (Offenlegung) oder eine explizite Abfrage, ob nicht doch eine doppelseitiger Druck möglich ist (gezwungene Auswahl).

Der nächste Schritt ist das Operationalisieren der anzustrebenden Zielgrößen. Im Druckerbeispiel wäre es die Anzahl der gedruckten Seiten oder der Papierverbrauch. Für das Logistikbeispiel könnte es Menge an verwertbaren Reststoffen oder die Menge an Restmüll sein.

Schließlich sollte man das ausgewählte Nudge an einer initialen Anwendung testen. Wenn es funktioniert, dann sollte es ausgerollt werden und die Wirkung – möglichst quantitativ anhand der gefundenen Operationalisierung – überwacht werden. In dieser Hinsicht gleicht das der klassischen Vorgehensweise zu kontinuierlichen Verbesserung.

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