Soziale Aspekte im Prozessmanagement: das Dramadreieck

Die Digitalisierung hält viele technische Lösungen für die Verbesserung von Prozessen bereit. Trotzdem sollten soziale Aspekte des Prozessmanagements nicht aus den Augen verloren werden. Dieser Beitrag illustriert an einem – hoffentlich – unterhaltsamen und inhaltlich wichtigen Beispiel, dem Dramadreieck im Stammdatenprozess, wieso. Darüber hinaus geben Ulf-Gereon Peter und Dr. Florian Springer (Partner bei der Senacor Technologies AG) in einem Interview Praxistipps.

Das Dramadreieck

Das Dramadreieck beschreibt ein Beziehungsmuster zwischen mindestens zwei Personen, die darin die drei Rollen des Opfers, des Täters bzw. Verfolgers, und des Retters einnehmen. Dabei sind die Erwartungen an die jeweilige Rolle wichtig. Es gibt auch keinen fix definierten Einstieg oder Anfang. Und ebenso können sich die Rollen sehr kurzfristig verändern. Wer eben noch Helfer war kann auch schnell zum Täter oder auch zum Opfer werden.

Auf diesem Beziehungsmuster basieren auch viele Märchen, Heldensagen oder Krimis. Aber auch im Coaching und in der Psychotherapie kann das Modell eine Rolle spielen. Und auch für Prozessmanager in Organisationen ist es wichtig dieses Muster zu verstehen. Denn auch in Organisationen „menschelt“ es doch auch einmal. Und wer hat sich nicht im prozessualen Alltag schon einmal als Opfer gefühlt?

Fallstudie Stammdatenprozess

Im Folgenden skizziere ich eine Situation, in der ein Prozessmanager als Berater (Helfer) gerufen wird um Probleme im Stammdatenprozess bei einem mittelständischen Handelsunternehmen zu beheben. Aktuell werden dort die Produktstammdaten in einer zentralen Abteilung gepflegt und sporadisch überprüft. Der Großteil der Arbeitszeit muss jedoch für die Behebung akuter Probleme aufgewendet werden (Troubleshooting).

Beispielsweise sind Produktspezifikationen nicht gepflegt oder Änderungen von Lieferzeiten wenn Produkte von anderen Lieferanten bezogen werden sind nicht aktualisiert. Aktuell kommt das bei etwas 5% der Bestellungen vor. Die Folgen sind längere Lieferzeiten, Probleme beim Verpacken und Kundenreklamationen sowie interner Abstimmaufwand. Die Ursache, ist dass die Mitarbeiter der Stammdatenabteilung sich mit dem Produktmanagement und dem Vertrieb abstimmen müssen.

Beginnen wir nun die Rolle des Opfers mit einer schönen User Story zu konkretisieren. Als Leiter der Stammdatenabteilung möchte Klaus (50 Jahre, kaufmännische Ausbildung, fleißig und bodenständig) seine Mitarbeiter zu mehr proaktiver Pflege der Stammdaten einsetzen und weniger Troubleshooting  zu Behebung von Problemen aufgrund falscher oder fehlender Stammdaten machen um reibungslose Verkäufe und schnellere Lieferungen zu ermöglichen. Bei den etwa 50.000 Bestellungen soll es nur noch bei einem Prozent zu Nachfragen oder Reklamationen kommen wenn der Prozess zur Stammdateneingabe und -Pflege verbessert wurde. 

Der Prozessmanager bzw. der Helfer ist in unserem Fall der 32-jährige Martin aus der IT-Abteilung. Er ist ein studierter Informatiker, der auch gerne pragmatisch anpackt. Martin soll dabei unterstützen, den Stammdatenprozess zu verbessern. Er kennt alle wesentlichen Verbesserungsansätze und Fallstricke. Zudem hat er auch vor kurzem mehrere Schulungen und Webinare zu Prozessmanagement und RPA gehabt. Er fühlt sich nun hier fit und möchte etwas bewegen. 

Und die Täter? Die sind für Klaus und Martin zunächst die inhaltlich Verantwortlichen für die Stammdaten, also die Einkäufer bzw. Produktmanager (Stellvertretend in unserem Beispiel: Christina, die 36 jährige studierte und ebenso eloquente wie kommunikative Marketingfachkraft als Leiterin des Produktmanagements) oder in einigen Fällen auch der Vertrieb. Sie versäumen manchmal die Daten einzuholen, geben dann geschätzte Werte ein, wenn überhaupt. Und sie reagieren nur sehr spät auf Anfragen. Denn sie sind ja schließlich für die Kernkompetenz – den Einkauf guter Produkte – des Unternehmens verantwortlich. Und deshalb möchten sich nicht mit operativem Klein-Klein aufhalten.

Das Dramadreiecks im Stammdatenprozess beginnt sich zu drehen

Nachdem Martin zertifizierter Prozessmanager ist, fällt ihm natürlich sofort eine inhaltlich gute Lösung ein. Die Daten sollten dort erfasst werden, wo sie anfallen. Denn dort kann auch die inhaltliche Richtigkeit am besten beurteilt werden. 

Ein weiterer Vorschlag – insbesondere für die Stammdatenpflege – ist, dass auch die Verantwortung für die Inhaltliche Richtigkeit bei der Änderung für die jeweiligen Datenfelder an die jeweilige Organisationseinheit (z. B. das Produktmanagement) delegiert wird. Wenn Fehler auffallen, müssen sich also die Produktmanager um die Korrektur kümmern. Eine System-interne Plausibilitätsprüfung und eine Freigabe im Vier-Augen-Prinzip für die wichtigsten Stammdaten durch die Stammdatenabteilung gewährleistet die Revisionssicherheit.

Wenn Martin diesen Vorschlag nun Klaus und Christina unterbreitet, besteht eine große Chance, dass sich das Dramadreieck zu drehen beginnt. 

Denn subtil könnte Klaus Martin instrumentalisieren um unschöne Tätigkeiten loszuwerden. Wenn sich Martin nun dieser Aufgabe voll und ganz verschreibt und – vielleicht ein wenig blauäugig – verspricht sich darum zu kümmern, wird Klaus nun von Zeit zu Zeit nachhaken wie denn der Stand der Umsetzung ist. Martin ist in der Defensive (Opfer) und Klaus hat Ansprüche gegenüber Martin. 

Aber noch eine andere Konstellation ist denkbar. Wenn Christina, die durch den Vorschlag operative Zusatzarbeit befürchtet, die ihre Mitarbeiter von Marktrecherchen und Lieferantenpflege abhält, es schafft, diese Befürchtungen bei der Geschäftsleitung glaubhaft zu untermauern, könnte Martin sogar auch ziemlich schnell in die Täter-Rolle gedrängt werden, in der er im schlimmsten Fall den Erfolg des Unternehmens gefährdet. 

Und je nach Erfolgsaussichten des Vorhabens – könnte sich dann auch noch Klaus auf die Seite von Christina schlagen. Insbesondere dann wenn er befürchtet, dass ihm Verantwortung genommen wird und er vielleicht sogar seinen Job in Gefahr sieht. 

Lösungen aus dem Coaching

Im Coaching und der Psychotherapie ist es insbesondere für die Opferrolle wichtig, die Verhaltensmuster aus dem Dramadreieck zu kennen. Denn dann kann das „Opfer“ sie durchbrechen und aus dem automatisch ablaufenden Kreislauf aussteigen. Nach der Theorie kann ein beginnendes Dramadreieck nur durch entgegengesetztes Verhalten gestoppt werden. Das Opfer soll lernen mit den Mitteln des Täters gegen den Täter selbst vorzugehen. So kann das Opfer z. B. laut und deutlich „Stopp“ sagen. Der Täter soll somit zum „Opfer“ werden.

Für unseren Fall relevanter ist dagegen das Verhalten des Helfers. Denn auch ein Helfer kann zu viel helfen wollen. Der Helfer kann sich das Problem des Opfers zu eigen machen, sich quasi „den Affen“ auf die Schulter setzen lassen. In diesem Fall kann der Helfer selbst zum Opfer werden. Nämlich wenn das „frühere“ Opfer nun vom Helfer die Ergebnisse einfordern kann, für die es eigentlich selbst verantwortlich wäre. 

Wirksames Helfen, im Sinne eines reifen und partnerschaftlichen Verhaltens, kann nur bedeuten, dem Opfer Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Oder – falls nötig – das „Opfer“ zunächst aus der Schusslinie zu nehmen, also die unmittelbare Bedrohung so lange zu stoppen, bis es wieder selbst in der Lage ist sich zu wehren/helfen. Auf jeden Fall zu vermeiden ist das „Helfersyndrom“. Hinter dem steckt ja implizit die Annahme, dass das Opfer unmündig ist und sich nicht selbst helfen kann. 

Was bedeutet das nun für den Stammdatenprozess? Wie sollte Martin sich verhalten?

Ohne allzu tief in eine inhaltliche Diskussion einzusteigen denke ich, dass gerade bei Stammdaten ein politisches Entgegenkommen zu nichts als Ärger und schlechter Datenqualität führt. Die einzige sinnvolle Lösung liegt darin die Aufgaben so zu verteilen, dass sie von denjenigen ausgeführt werden, die es am besten können.

Parallel sollten einzelne Aufgaben und Prüfungen so gut es geht automatisiert werden. Der Umfang eventuell neu zu verteilender Aufgaben sollte bewertet werden und Kapazitäten wo nötig verschoben werden. Für das Unternehmen sind gute Stammdaten – gerade vor dem Hintergrund von Industrie 4.0 – ein öffentliches Gut. Und hierfür muss eine gemeinsame Lösung gefunden werden. 

Unter der Prämisse eines reifen und partnerschaftlichen Verhaltens sollte Martin zunächst die Aufgabe so objektiv wie möglich aufnehmen und Restriktionen wie Sorgen transparent machen. Als gemeinsamer Nenner ist kann Martin immer auf die für alle nützlichen Vorteile von schnelleren Lieferungen und höherer Kundenzufriedenheit verweisen. 

Und gerade weil der Stammdatenprozess viele – wenn nicht alle – Organisationseinheiten betrifft, ist Martin auf der sicheren Seite wenn er die Aufgabe wie ein komplettes Change Management-Vorhaben angeht. Durch das Schaffen von Bewusstsein muss die Organisation zunächst „aufgetaut“ werden. Anschließend kann mit einer schlagkräftigen Koalition die Veränderung umgesetzt und schließlich mit geeigneten Maßnahmen der neue Zustand verankert werden.

Fazit

  • Prozessverbesserungen sollten nicht nur inhaltlich und technisch betrachtet werden, die sozialen Prozesse spielen eine große Rolle. Prozessmanager müssen sich ihrer Rolle bewusst sein und entsprechend handeln. Ebenso sollten sie mögliche Rollen und die damit verbundenen Handlungsmuster sensibel beobachten.
  • Prozessmanager sollten das Spannungsfeld zwischen technischen und organisatorischen Lösungen auf der einen und sozialen Auswirkungen auf der anderen Seite ganzheitlich im Blick haben. Und insbesondere – sofern das nicht schon der Fall ist – auch soziale Kompetenzen auf- bzw. ausbauen.

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Interview mit Ulf-Gereon Peter und Dr. Florian Springer

Ich habe mit Ulf-Gereon Peter und Dr. Florian Springer von der Senacor Technologies AG über die Bedeutung der sozialen Komponente in der Prozessberatung bzw. dem Prozessmanagement gesprochen. Ulf-Gereon Peter hat sich auf systemisches Coaching spezialisiert. Mit ihm gemeinsam moderiere ich den Zertifikatskurs Business Process Management am ZWW der OTH Regensburg. Dr. Florian Springer leitet als Partner große und komplexe IT-Projekte und besitzt vielfältige Erfahrungen zu den damit einher gehenden Veränderungen.

TL: Ist es überhaupt möglich ohne ein Verständnis der sozialen und systemischen Prozesse die Rolle eines Prozessmanagers auszufüllen?

Ulf-Gereon Peter: Aus meiner Erfahrung heraus ist das häufig der Grund warum Prozessmanagement in Unternehmen nicht wirklich nachhaltig wirkt oder gar an Ressourcenverschwendung grenzt. Wenn das Ergebnis von Prozessmanagement komplizierte Diagramme, Unmengen von Controls oder langwierige Arbeitsanweisungen sind, hat das Prozessmanagement sein Ziel verfehlt. 

Es muss dem Unternehmen dienen, und das Unternehmen sind letztlich die Menschen: Führungskräfte, Mitarbeiter, Investoren und natürlich auch Kunden und Lieferanten, manchmal auch andere Interessenvertreter (Politiker, Verbandsvertreter, etc). Prozesse dienen dazu, diese Menschen miteinander zu vernetzen und in den Fokus zu rücken, wie effiziente Interaktionen aussehen, zum Beispiel wie genau Informationen, Geld oder Waren ausgetauscht und weiter verarbeitet werden. Dazu sind dann natürlich auch Maschinen, Anlagen, Tools, IT, etc. einzubeziehen.

Da das Prozessmanagement also hauptsächlich den Menschen dienen soll, reichen technische oder betriebswirtschaftliche Kenntnisse nicht aus. Das Verhalten von Menschen und sozialen Systemen wird durch solche Modelle nämlich nicht gut beschrieben. Elementar für ein effektives Prozessmanagement sind Kenntnisse aus Psychologie, Sozialwissenschaften und angrenzenden Disziplinen. Und genauso wichtig wie methodische Kenntnisse ist eine personenzentrierte Werthaltung. Dazu gehören Empathie mit den Betroffenen, Wertschätzung der Situation, in der sie sich wiederfinden und Aufrichtigkeit ihnen und sich selbst gegenüber.

Dr. Florian Springer: Das hängt meines Erachtens nach stark vom „politischen Umfeld“ im Unternehmen ab. Von außen betrachtet, ist es in der Unternehmenspraxis nicht unüblich oder sogar eher die Regel, Prozesse stark fachlich getrieben auf dem Reißbrett zu erheben und zu optimieren, und dabei weniger auf die sozialen und systemischen Aspekte einzugehen. Zwar werden im Rahmen der Optimierung typischerweise Interviews mit ausgewählten Experten durchgeführt, um die Ist-Situation und mögliche Herausforderungen zu erfassen, aber die „sozialen“ Aspekte wie persönliche Befindlichkeiten, Seilschaften, Angst um die Position oder den Job, undsoweiter, werden dabei nur sehr eingeschränkt betrachtet, da diese für einen Außenstehenden in kurzer Zeit auch nur schwer zu erfassen sind.

Das fordert vom Prozessmanager eine hohe Sozialkompetenz und entsprechende Erfahrung. In meinen Augen ist eine Prozessoptimierung ohne tiefes Verständnis der sozialen Aspekte nur in Unternehmen und Umfeldern möglich, die wenig politisch getrieben sind. In stark politischen Umfeldern sehe ich ein hinreichendes Verständnis zu sozialen und systemischen Gegebenheiten als essentiell an.

TL: Um wieviel besser, schneller oder effektiver können Prozesse verbessert werden, wenn man als Prozessmanager die Klaviatur der sozialen Konzepte beherrscht?

Dr. Florian Springer: Das ist eine schwierige Frage, da schwer messbar und vergleichbar. Die Frage ist eher, wie zuvor bereits angerissen, ob eine Prozessoptimierung ohne diese Kompetenz in komplexen und hochgradig politischen Umfeldern überhaupt möglich ist! Ich bin davon überzeugt, dass wird je politischer die Gegebenheiten sind zunehmend schwieriger. Im Ergebnis kommt genau das heraus, was Sie in Ihrem Beispiel zum „Drama-Dreieck“ ausgeführt haben: Die Prozesse werden anders – aber nicht besser.

Ulf-Gereon Peter: Wenn man die sozialen und psychologischen Komponenten versteht und auch gestalten kann, werden Prozesse passgenauer für die Beteiligten – das erhöht die Akzeptanz und tatsächliche Prozesstreue im operativen Geschäft, kann viel Geld und Ressourcen sparen und sogar innovative Lösungen und Produkte hervorbringen. Dabei kann Prozessmanagement allen Beteiligten und Betroffenen Spaß machen und die Motivation und auch Leistungsbereitschaft erheblich steigern.

TL: Was bedeutet es für das Prozessmanagement, Organisationen (und damit auch die darin ablaufenden Prozesse) unter dem „systemischen“ Blickwinkel zu betrachten?

Ulf-Gereon Peter: Der Begriff „systemisch“ wird tatsächlich mit etwas verschiedenen Bedeutungen genutzt. Für mich bedeutet es, das Augenmerk auf Art und Weise von Kommunikation und Verhalten zu legen und dabei ganzheitlich vorzugehen. Also nicht nur auf einen Geschäftsbereich (zum Beispiel Großkunden), eine Funktion (zum Beispiel IT) oder einen Standort zu konzentrieren, sondern auch die Bereiche einzubeziehen, die auf den ersten Blick für die Zielsetzung „nicht so wichtig“ erscheinen.

Der Prozessgedanke wird ja erst richtig zum Leben erweckt, wenn man end-to-end über Geschäftsbereiche bzw. Funktionen handelt. Das bedeutet, dass man dabei alle Beteiligten vom Kunden als Auftraggeber über beispielsweise Vertriebler, Mitarbeiter in der Supply Chain, Produktionsleiter und Fakturierungsexperten bis wieder hin zum Kunden als Abnehmer mit einbezieht. Dabei sind dann neben Menschen auch Maschinen, IT zu berücksichtigen und formale und informelle Strukturen (zum Beispiel Zielerwartungen, Normen, Regeln). An dieser Stelle kommen dann weitere Unterstützungs-Funktionen ins Spiel (zum Beispiel HR, Qualität, IT, Controlling).

Wichtige Eigenschaften solch umfassender Systeme sind häufig die zunächst abschreckende Kompliziertheit und Komplexität, die mit nicht-linearen Effekten einhergeht. Klassische Beratungskonzepte, die dem Muster Ist-Analyse, Soll-Konzeption, Implementierung folgen, kommen dann schnell an ihre Grenzen.

Dr. Florian Springer: Einfach gesprochen: die politischen Gegebenheiten verstehen, berücksichtigen und sich noch besser zu Nutze zu machen. Prozessmanager müssen neben dem sachlogisch dokumentierten Ist-Prozess auch verstehen, wie es dazu kam und wie der Prozess tatsächlich gelebt wird. Denn das ist häufig nicht identisch. Darüber hinaus muss das hochkomplexe politische Konstrukt zwischen den einzelnen Fachabteilungen und den handelnden Personen erfasst und verstanden werden. Denn am Ende heißt Prozessoptimierung in diesem Kontext nicht sachlogisch Maschinen zu programmieren, sondern die Zusammenarbeit zwischen Personen mit spezifischen Charaktereigenschaften und persönlichen Interessen effizient und effektiv auszugestalten.

TL: Wo müssen (angehende) Prozessmanager beginnen: Welche „sozialen“ Konzepte und Theorien sind die wichtigsten für einen Prozessmanager?

Dr. Florian Springer: Häufig fokussieren sich angehende Prozessmanager stark auf die Faktenlage. Ich kann nur empfehlen, mit den betroffenen und handelnden Personen zu sprechen und diese aktiv in die Diskussionen im Kontext der Erhebung aber auch der Optimierung mit einzubeziehen und dabei stark „zwischen den Zeilen“ zu lesen. Dadurch werden einerseits das politische Konstrukt und die persönlichen Befindlichkeiten vom Prozessmanager besser verstanden und im Ergebnis die Umsetzung der Prozessänderungen von den Betroffenen besser akzeptiert.

Ulf-Gereon Peter: Das ist tatsächlich gar nicht so einfach zu beantworten, da es sehr viele theoretische und methodische Ansätze gibt, die hinzugezogen werden können und die Erfahrung eine wichtige Rolle spielt. Es gibt nicht „die“ Methode, die alle praktischen Fälle abdeckt. Hilfreich können zum Beispiel Ausbildungen im Coaching sein (zum Beispiel beim DBVC oder DVNLP), die teilweise auch systemische Ansätze auf einfache Weise nahe bringen.

Systemtheorie hat sich aus ursprünglich technischen, biologischen und sozialen Ansätzen als eigener Zweig in den Wissenschaften herausgebildet und zeigt neue Perspektiven und Denkansätze auf. Ein Studium der Grundlagen der Psychologie und der Sozialwissenschaften ist ebenfalls dienlich. Für die ganz praktische Arbeit mit Gruppen gibt es Großgruppenmethoden (Open Space, World Cafe, etc.) mit denen sehr schnell Motivation aufgebaut und gemeinsam Maßnahmen hergeleitet werden können. Eine Ergänzung durch agile Ansätze wie zum Beispiel Scrum, SAFe, Design Thinking kann sinnvoll sein um Komplexität handhabbar zu machen.

Bei all der Methodik darf aber nicht vergessen werden, dass im Vordergrund stets die Beziehung zu den Betroffenen stehen sollte. Das ist wissenschaftlich recht gut belegt. Wie man eine Beziehung aufbaut und vertieft, damit Veränderung bei den Betroffenen möglich wird, kann man auch anhand vieler ursprünglich therapeutischer Ansätze lernen (zum Beispiel personenzentrierte Gesprächsführung, Motivational Interviewing, kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren).

Das scheint jetzt vielleicht sehr viel zu sein. Aber nicht alle Ansätze sind jederzeit und in jedem Unternehmen nötig. Daher macht es Sinn, einen externen Experten hinzu zu ziehen, der die richtigen Ansätze mitbringt und gemeinsam mit dem Prozessteam umsetzt bis dieses dann nach einiger Erfahrung die Arbeit selbständig weiter führen kann. 

TL: Was möchten Sie den Lesern sonst noch mit auf den Weg geben und welche Bücher/Medien empfehlen Sie für den Einstieg?

Ulf-Gereon Peter: Zu all den genannten Disziplinen gibt es natürlich Literatur, auch zum Einstieg. Noch wichtiger als Literatur finde ich die praktische Arbeit, das Lernen an Beispielen aus anderen Unternehmen und den Austausch mit anderen Prozessmanagern. Die kompakte Ausbildung zum Business Process Manager an der OTH Regensburg eignet sich sehr gut um in einem interaktiven Format einen umfassenden Überblick und konkret nutzbare Fertigkeiten zu erlangen. Die Teilnehmer wenden die erworbenen Fertigkeiten ja noch während des Kurses in ihrem Unternehmen an, so dass auch für das Unternehmen ein konkreter Mehrwert entsteht.

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