Bildschirmfoto eines Webinars

Einige Wochen ist es nun schon her, dass die Corona-Krise unser Leben – beruflich wie privat – grundlegend verändert hat. In den letzten Wochen hat sich ganz viel in Sachen digitale Transformation bei den Formaten für Bildung und Lehre getan. Neue Medien und Tools werden getestet und erfolgreich eingesetzt. Auch von jenen die bisher strikt dagegen waren. Dabei werden viele wichtige Erfahrungen (positiv wie negativ) gemacht, aus denen man für die Zeit nach der Krise wertvolle Schlüsse ziehen kann. 

Zeit für mich in meiner Rolle als Professor, Dekan und Trainer einmal die Erfahrungen der letzten Wochen Revue passieren zu lassen. Dabei sehe ich durchaus Gründe, warum die Corona-Krise wie jede Krise – trotz der ohne Frage furchtbaren Folgen – durchaus Chancen bietet. 

Ein paar Beispiele: Auch größere Meetings bzw. Sitzungen mit über 30 Teilnehmern können auch mit Zoom oder Teams ohne Probleme durchgeführt werden – vielleicht sogar noch ein effizienter weil keine Nebengespräche geführt werden können bzw. über den Chat, so dass keine anderen gestört werden. Elektronische Workflows werden implementiert. Es kann in Tools investiert werden, die zuvor nicht möglich schienen. 

Auch für die Lehre und Trainings hat die Krise einen Anstoß gegeben, über die Vielfalt und Praktikabilität digitaler Lehrkonzepte und -formen nachzudenken. Und – mindestens genauso wichtig – diese im Sinne agilem Arbeiten auch unmittelbar umzusetzen und zu testen

Einige Erfolgsfaktoren für die Gestaltung von digitaler Lehre, die ich sehe:

  • Die Einheiten sollten kürzer sein und es muss noch mehr Augenmerk auf dem roten Faden liegen. Es muss also in Summe mehr und präziser geplant werden, was die Lernziele und die zu erwerbenden Kompetenzen sind und wie diese erreicht bzw. erworben werden können.
  • Es ist auch wichtig die Aufmerksamkeitsspanne und die verschiedenen Lerntypen der Teilnehmer im Blick zu haben. So können die Lernpfade mit viel Abwechslung von Input (Videos und Text) und eigener Aktivität der Teilnehmer (Wiederholungs- aber auch Reflektionsfragen) zu gestalten. Denn gerade wenn die Pause nur einen Klick weg ist, müssen die Teilnehmer bei Laune gehalten werden.
  • Es muss ein angemessenes Begleitungskonzept entwickelt werden, das an den Bedürfnissen der Teilnehmer ansetzt. So plane ich bei Grundlagenveranstaltungen eine enge Begleitung durch Webinare und geleitete Übungen und bei Masterkurse versuche ich ein Inverted Classroom Konzept. Nur einfach Vorlesungen streamen oder Lehrbriefe in moodle laden funktioniert nicht.
  • Man muss feinfühliger Emotionen aufnehmen und gezielt im Lernprozess einsetzen. Deshalb sind sicherlich Formate einfacher, bei denen die Teilnehmer persönlich bekannt sind. Bei Erstkontakten muss das Eis behutsam gebrochen werden und ein sicherer Raum für die Teilnehmer geschaffen werden. Keiner blamiert sich gern vor anderen oder wird gern bloß gestellt.

Allerdings müssen wir aufpassen, dass gerade Schwächere bei der digitalen Transformation von Bildung und Lehre nicht abgehängt werden. Manche haben sind noch nicht an die neuen Gegebenheiten gewöhnt. Es bleiben Fragen offen, wie zum Beispiel:

  • Welche langfristigen Auswirkungen hat Home Office auf die Zusammenarbeit und auf den Einzelnen?
  • Wie können Konflikte oder Streit konstruktiv gelöst werden, wenn ein Teil des klassischen Instrumentariums (z. B. Gespräch in der Kaffeeküche oder beim Rauchen) fehlt?
  • Wie gut können Lernende umfangreichere Selbstlernphasen meistern?

Und vielleicht können auch gar nicht alle an den Entwicklungen teilhaben. Nicht jeder hat eine gute digitale Infrastruktur, eine Umfrage unter unseren Studierenden hat ergeben, dass bei über 11% der Befragten die Internetverbindung nicht ausreicht Live-Vorlesungen zu verfolgen und bei über 5% können sogar aufgezeichnete Vorlesungen nicht in ausreichender Qualität verfolgt werden. Knapp 5% besitzen keinen Rechner, Laptop oder Tablet. Auch wird die Fähigkeit oder der Wille Einzelner, sich an eine digitale oder virtuelle Arbeitswelt anzupassen sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. In diesem Zusammenhang wird man auch für die Zeit nach den Einschränkungen den Einsatz und den Nutzen von Präsenzveranstaltungen neu bewerten müssen. Ebenso müssen die Einsatzprofile digitaler Medien im Zusammenspiel mit Präsenzlehre oder Trainings geschärft werden. 

Aber auch die bestehenden Geschäftsmodelle und Servicekonzepte (nicht nur für Lehre oder Trainings) werden auf eine Probe gestellt. Wahrscheinlich ist die Krise auch eine längst fällige Bereinigung im Sinne von Schumpeters schöpferischer Zerstörung. Man hat endlich mal einen zwingenden Anstoß über das eigene Geschäftsmodell nachzudenken. Man kann altes über Bord werfen und  neue Projekte entwickeln. Und das ist ein sehr positiver Punkt: Denn man sieht jetzt, dass Menschen immer noch sehr anpassungsfähig sind und es auch schaffen werden, neue Geschäftsfelder zu finden und zu besetzen. Insofern wird auch diese Krise zweifelsohne für echte Innovationen sorgen.

Und nicht zuletzt muss auch die Selbstorganisation überdacht werden: Viele Mails – ich habe etwa drei Mal so viele Mails wie vor der Krise – und virtuelle Meetings zerstückeln den Tag und die Zeit für konzeptionelle Tätigkeiten noch knapper werden. Am meisten Sinn macht wahrscheinlich das noch konsequentere Bilden von kleineren Arbeitspaketen und Freihalten von „Arbeitsinseln“ im Kalender. 

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  1. Auch ich war zu Beginn eher skeptisch was das Thema Meetings mit einer hohen Teilnehmeranzahl über die nun allgegenwärtigen Tools wie Zoom, Teams und Co. angeht. Nach einigen Meetings mit bis 10 – 30 Teilnehmern hat sich diese Skepsis nun nahezu vollständig in Luft aufgelöst. Klar gibt es nach wie vor Termine und auch Meetings, welche eine Face to Face – Situation erfordern – vor allem wenn es um einen Erstkontakt, Team Building oder andere Themen geht. Die meisten Termine die zum “normalen” Arbeitsalltag gehören, lassen sich jedoch wunderbar über derartige Tools abbilden.

    Die Auswirkung auf Budgets sind enorm, wenn man bedenkt, dass für viele Meetings Flüge, Hotels, Züge, Taxis, Restaurants und vieles weitere vom Unternehmen getragen werden muss.

    Für mich persönlich spielt aber auch das Zeitmanagement eine große Rolle. Weniger Reisen bedeutet nicht nur mehr Zeit für die Familie; es bietet mir zudem die Möglichkeit viel effektiver zu arbeiten, da ich mich in Pausen sowie vor und nach den Meetings wieder direkt im gewohnten Arbeitsumfeld befinde.

    Und ja, auch das “Getuschel” ist dadurch nicht mehr möglich 🙂 Wobei einige Tools mittlerweile die Möglichkeit bieten, sich in Nebenräume für ein Gespräch kurzfristig auszuloggen. Das macht das “Getuschel” dann allerdings offiziell, da der Host entweder darüber informiert oder durch das Tool darauf aufmerksam gemacht wird.

    Wir sollten uns der digitalen Welt sowohl mit kritischer Haltung aber auch offenen Armen stellen, da sie eine große Hilfe, aber eben auch ein komplizierter, manchmal negativer Koloss sein kann.

    “If you always do, what you always did, you will always get, what you always got” -> Albert Einstein

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